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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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kommen. Vor dem Erscheinen Annahs hatte Paul die Tochter seiner schwedischen Nachbarn eher auf Distanz gehalten, amüsiert angesichts der Begeisterung, die das Mädchen ihm entgegenbrachte, und war ihr nicht nahe gekommen. Doch seit der Ankunft der Javanerin, dieser exotischen Spezies, die seine Sinne und seine Phantasie erregte, hatte er auch mit Judith zu kokettieren begonnen, wenn ihre Eltern nicht in der Nähe waren. Er faßte sie um die Taille, streifte ihre Lippen und drückte ihre kleinen, sich gerade erst abzeichnenden Brüste,während er ihr zuflüsterte: »Das alles wird mir gehören, nicht wahr, Mademoiselle?« Erschrocken und glücklich stimmte das Mädchen zu: »Ja, ja, Ihnen.«
    Und so setzte er sich in den Kopf, die Tochter der Molards nackt zu malen. Er schlug es ihr vor; Judith, weiß wie Wachs, wußte nicht, was sie sagen sollte. Nackt, völlig nackt? Aber natürlich. Geschah es denn nicht häufig, daß die Maler oder Bildhauer ihre Modelle nackt darstellten? Niemand würde es erfahren; nachdem er sie gemalt hätte, würde Paul das Bild verstecken, bis Judith ein gewisses Alter erreicht hätte, und es erst zeigen, wenn sie eine richtige Frau wäre. Willigte sie ein? Schließlich erklärte das Mädchen sich bereit. Es kam nur zu drei Sitzungen, und das Abenteuer hätte fast ein dramatisches Ende gefunden. Judith kam ins Atelier hinauf, während Ida, ihre von tätiger Tierliebe erfüllte Mutter, in Begleitung von Annah durch die Straßen von Montparnasse zog, auf der Suche nach herrenlosen, kranken oder verletzten Hunden, die sie mit nach Hause nahm, pflegte und heilte und dann bei Adoptiveltern unterbrachte. Das Mädchen, nackt auf einigen bunten polynesischen Tüchern, hob die Augen nicht vom Boden; sie versank vor Schüchternheit in sich selbst und versuchte, für die Augen, die ihre Geheimnisse erkundeten, so wenig sichtbar zu sein wie möglich.
    Bei der dritten Sitzung, als Paul ihre schmale Silhouette und ihr ovales Gesicht mit den großen, erschrockenen Augen skizziert hatte, stürzte Ida Molard mit dem Gehabe einer griechischen Tragödin ins Atelier. Es kostete dich Mühe, sie zu beruhigen, sie zu überzeugen, daß dein Interesse an dem Mädchen ästhetischer Natur war (war es das, Paul?), daß du sie respektiert hattest, daß dein Ansinnen, sie zu malen, jeder maliziösen Absicht entbehrte. Ida beruhigte sich erst, als du ihr schworst, das Vorhaben aufzugeben. Vor ihren Augen beschmiertest du die unvollendete Leinwand mit Terpentin und bearbeitetest sie mit dem Spatel, so daß Judiths Bild begraben wurde. Daraufhin schloß Ida Frieden mit ihm, und sie tranken Tee. Das Mädchen,verärgert und verstört, hörte ihrem Geplauder zu, stumm, ohne sich in das Gespräch einzumischen.
    Als Paul einige Zeit später beschloß, ein Aktbild von Annah zu malen, hatte er eine Erleuchtung: Er würde die Judith des unfertigen Gemäldes mit der Gestalt seiner Geliebten übermalen. Und so machte er es. Es war ein Bild, das ihn wegen der unverbesserlichen Javanerin große Mühe kostete. Das ruheloseste und unkontrollierbarste Modell, das du jemals haben solltest, Paul. Sie bewegte sich, veränderte die Pose oder bekämpfte die Langeweile, indem sie Grimassen schnitt, um dich zum Lachen zu bringen – ihr bevorzugtes Spiel, neben dem Spiritismus an den Donnerstagabenden –, oder sie stand unvermittelt auf, wenn sie genug vom Posieren hatte, warf sich irgendein Kleidungsstück über und ging auf die Straße hinaus, wie es Teha’amana getan hätte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Pinsel zu verwahren und die Arbeit auf den nächsten Tag zu verschieben.
    Dieses Bild war deine Antwort auf die beleidigenden Kritiken und Kommentare, die du seit der Ausstellung bei Durand-Ruel allenthalben über deine tahitianischen Gemälde lesen konntest. Es war nicht das Werk eines Zivilisierten, sondern das eines Wilden. Eines zweibeinigen Wolfs ohne Halsband, der nur flüchtig in Paris verweilte, diesem Gefängnis aus Zement, Asphalt und Vorurteilen, bevor er in sein wahres Vaterland in der Südsee zurückkehren würde. Die feinsinnigen Pariser Künstler, ihre affektierten Kritiker, ihre wohlerzogenen Sammler würden sich beleidigt fühlen in ihrer Empfindsamkeit, ihrer Moral, ihrem Geschmack durch diesen frontalen Akt eines Mädchens, das weder Französin noch Europäerin, noch Weiße war und obendrein die Schamlosigkeit besaß, ihre Brüste, ihren Bauchnabel, ihren Venushügel und das Büschel ihres Schamhaars zur Schau

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