Das Paradies ist anderswo
du ein erfahrener Maler im Vergleich zu dem naiven Anfänger, der nach Pont-Aven gegangen war, weil er glaubte, er könne in der unverfälschten, mysteriösen, gläubigen und traditionellen Bretagne die Wurzeln der primitiven Welt finden, die die Pariser Zivilisation hatte verdorren lassen.
Ihre Ankunft in Pont-Aven bewirkte einen wahren Aufruhr. Nicht so sehr seinetwegen als wegen Annah und der Luftsprünge und Kreischlaute Taoas, der gelernt hatte, vom Kopf seiner Herrin auf die Schulter Pauls zu hüpfen und umgekehrt, wobei er mit den Händen fuchtelte. Gleich nach seiner Ankunft erfuhr er, daß Charles Laval, der Freund, mit dem er das Abenteuer in Panama und Martinique geteilt hatte, in Ägypten gestorben war und daß seine Frau, die schöne Madeleine Bernard, schwer krank war. Diese Nachricht deprimierte ihn ebenso wie die Erinnerung an seine alten Künstlerfreunde, mit denen er vor Jahren die bretonischen Illusionen geteilt hatte: Meyer de Haan lebte zurückgezogen in Holland und war dem Mystizismus anheimgefallen; Emile Bernard, ebenfalls weltabgewandt und religiös geworden, redete und schrieb jetzt gegen dich, und der gute Schuff in Paris verbrachte seine Tage statt mit Malen im häuslichen Zwist mit seiner Frau.
Aber er traf auch andere Freunde in Pont-Aven, junge Maler, die ihn nicht nur aufgrund seiner Bilder kannten und bewunderten, sondern auch aufgrund seiner Legende als Erforscher der Exotik, der Paris verlassen hatte, um Inspiration in den fernen Meeren Polynesiens zu suchen: den Iren Roderic O’Conor, Armand Seguin und Emile Jourdan, die ihn, ebenso wie ihre Geliebten oder Frauen, mit offenen Armen aufnahmen. Sie hofierten ihn um die Wette und zeigten sich Annah gegenüber genauso zuvorkommend wie ihm gegenüber. Dagegen war Marie-Henry, Püppchen Marie, von der Herberge in Le Pouldu, kategorisch, obwohl sie ihn herzlich begrüßt hatte: Die Bilderwaren weder geliehen noch verpfändet. Sie waren die Bezahlung für das Zimmer und die Pension. Sie würde sie ihm nicht zurückgeben. Sie seien zwar heute nicht viel wert, wie man sagte, aber sie könnten es doch vielleicht in Zukunft einmal sein. Es war nichts zu machen.
Die Herzlichkeit, mit der Paul und Annah von den Bewohnern Pont-Avens aufgenommen worden waren, verwandelte sich jedoch im Lauf der Tage zuerst in Distanziertheit und dann in dumpfe Feindseligkeit. Der Grund dafür waren die Kindereien, Skandale und manchmal ziemlich geschmacklosen Scherze, mit denen sich O’Conor, Seguin, Jourdan und andere in Pont-Aven niedergelassene junge Künstler vergnügten, angestachelt von Annah, die glücklich war über die Exzesse dieser Bohemiens. Sie betranken sich und gingen auf die Straße hinaus, wo sie die Bewohnerinnen der Nachbarschaft erschreckten; sie improvisierten Maskenaufzüge, bei denen die Javanerin die Heldin war. Annahs schamlose Ausdrücke, ihr dreistes Gebaren und ihr dröhnendes Lachen riefen die Nachbarn auf den Plan, die sich abends von den Fenstern ihrer Häuser aus beschwerten und Ruhe geboten. Paul nahm aus der Ferne, als passiver Zuschauer, an diesen Possen teil. Doch seine Anwesenheit war eine stillschweigende Billigung der Narrheiten seiner Schüler, und die Leute in Pont-Aven machten ihn seines Alters und seiner Autorität wegen für sie verantwortlich.
Am meisten von sich reden machte der Skandal mit den Hühnern, den die unverbesserliche Javanerin ausgeheckt hatte. Sie überredete Pauls Jünger – wie sie selbst sich nannten –, sich heimlich in den Hühnerstall von Onkel Gannaec zu schleichen, den am reichsten bestückten des Ortes, und die Hühner betrunken zu machen, indem sie ihr Wasser mit Cidre vertauschten. Danach übergossen sie die Tiere mit Farben, öffneten den Hühnerstall und scheuchten sie zum Dorfplatz, wo diese irrwitzige Prozession hin und her torkelnder, lärmender, bunter Vögel, die sich laut gackernd um sich selbst drehten oder orientierungslos umherirrten,mitten in das Sonntagskonzert platzte. Die Empörung des Dorfes machte sich in einem Aufschrei Luft. Der Bürgermeister und der Pfarrer trugen Gauguin ihre Klagen vor und forderten ihn auf, diesen Verrückten Einhalt zu gebieten. »Irgendwann wird das ein böses Ende finden«, verkündete der Pfarrer.
In der Tat fand es ein ziemlich böses Ende. Wochen nach dem Vorfall mit den betrunkenen, buntbeklecksten Hühnern, am 25. Mai 1894, einem sonnigen Tag, beschloß die ganze Gruppe – O’Conor, Seguin, Jourdan und Paul sowie ihre jeweiligen
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