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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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getrieben. Es herrschte Panik unter den Künstlern. Würde die Tatsache, daß du Enkel von Flora Tristan warst, einer Revolutionärin und Anarchistin, dir Probleme bereiten? Die Polizei war so dumm, daß sie dich vielleicht als Umstürzler aus erblichen Gründen registriert hatte.
    Als er sein Atelier in der Rue Vercingétorix Nummer 6 betrat, erwartete ihn eine gewaltige Überraschung. Nicht zufrieden damit, ihn halbtot in der Bretagne zurückgelassen zu haben, hatte Annah, dieser kleine Teufel im Weiberrock, das Atelier geplündert und Möbel, Teppiche, Vorhänge,Schmucksachen, Kleidungsstücke und alle möglichen Gegenstände mitgenommen, die sie sicher schon auf dem Flohmarkt und in den Höhlen der Hehler von Paris versetzt hatte. Aber – die größte Demütigung, Paul! – sie hatte nicht ein einziges Bild noch eine Zeichnung, noch ein Skizzenbuch mitgenommen. Sie hatte sie wie nutzlosen Plunder in diesem jetzt vollkommen leeren Raum zurückgelassen. Nachdem er seiner Wut in einem Schwall von Flüchen Luft gemacht hatte, brach Paul in Lachen aus. Du fühltest nicht den geringsten Groll gegen diese herrliche Wilde. Sie war es wirklich, Paul. Eine wahre Wilde, bis ins Mark, mit Leib und Seele. Du hattest noch einiges zu lernen, um ihr das Wasser reichen zu können.
    In den letzten Monaten in Paris, als er seine endgültige Rückkehr nach Polynesien vorbereitete, vermißte er diesen Wirbelwind, der sich als Javanerin ausgab und vielleicht Malaysierin, Inderin oder wer weiß was war. Um sich über ihre Abwesenheit hinwegzutrösten, blieb ihm ihr Aktbild, das er nun, während Judith, die Tochter der Molards, ihn wie in Trance beobachtete, nachbesserte, bis er das Gefühl hatte, daß es fertig war.
    »Siehst du dich da, Judith, im Hintergrund, an dieser rosafarbenen Wand, wie eine weiße, blonde Doppelgängerin von Annah?«
    Sosehr Judith auch die Augen aufriß und die Leinwand ausforschte, sie vermochte diese Silhouette hinter der Gestalt Annahs, die Paul ihr zeigte, nicht zu erkennen. Aber du logst nicht. Die Umrisse des Mädchens, die du mit Terpentin verwischt und mit dem Spatel verrieben hattest, um ihre Mutter Ida zu beruhigen, waren nicht ganz verschwunden. Sie erschienen für winzige Augenblicke, wie eine flüchtige, magische Erscheinung, zu bestimmten Stunden des Tages mit trübem Licht und luden das Bild mit einer geheimnisvollen Zweideutigkeit, mit einer mysteriösen Tiefe auf. Er malte den Titel über dem Kopf Annahs, um einige schwerelose Früchte herum, in Tahitianisch: Aita tamari vahine Judith te parari .
    »Was heißt das?« fragte das Mädchen.
    »Die Kind-Frau Judith, die noch Jungfrau ist«, übersetzte Paul. »Da siehst du, obwohl es auf den ersten Blick ein Porträt Annahs ist, bist du die wahre Heldin des Bildes.«
    Wenn er auf der alten Matratze lag, die die Molards ihm geliehen hatten, damit er nicht auf dem Boden schlafen mußte, sagte er sich oft, daß dieses Bild die einzige gute Erinnerung an seine so nutzlose, so schädliche Reise nach Paris sein würde. Er hatte die Vorbereitungen für die Rückkehr nach Tahiti beendet, aber er mußte die Reise verschieben, weil – »Ein Unglück kommt selten allein«, pflegte seine Mutter in Lima zu sagen, als sie von der Mildtätigkeit der Familie Tristán lebten – seine Beine sich mit Ekzemen bedeckt hatten. Das Brennen quälte ihn, und die Flecken verwandelten sich in Placken eitriger Wunden. Er mußte sich für drei Wochen in die Station für ansteckende Krankheiten der Salpêtrière einliefern lassen. Zwei Ärzte bestätigten dir, was du schon wußtest, obwohl du diese Realität nie akzeptiert hattest. Die unaussprechliche Krankheit, wieder einmal. Sie zog sich zurück, schenkte dir sechs, acht Monate freie Zeit, setzte jedoch unterschwellig ihre tödliche Arbeit fort und vergiftete dein Blut. Jetzt trat sie an seinen Beinen in Erscheinung, zog ihnen die Haut ab, übersäte sie mit blutigen Kratern. Später würde sie zu deiner Brust hochsteigen, zu deinen Armen, würde deine Augen erreichen und dich in Finsternis versinken lassen. Dann wäre dein Leben zu Ende, auch wenn du weiterleben würdest, Paul. Doch die verfluchte Krankheit würde auch dort nicht haltmachen. Sie würde weiterwandern und schließlich in dein Hirn eindringen, dir den klaren Verstand und die Erinnerung rauben, dich zerrütten und am Ende zu einem elenden Wrack machen, angespuckt von den Leuten und von allen gemieden. Du würdest ein räudiger Hund sein, Paul. Um die

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