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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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zurückzukehren, als weiter in der Vergangenheit herumzustochern. Hand ans Werk. Du hattest keine Zeit zu verlieren, Florita, die Erlösung der Menschheit erlaubte keinen Aufschub.
    Es war nicht einfach, diese Arbeiter in Avignon zu erlösen, mit denen sie sich nur mühsam verständigen konnte, da die meisten nicht Französisch, sondern nur das regionale Provenzalisch beherrschten. In Paris hatte Agricol Perdiguier, der Tugendhafte aus Avignon, wie er genannt wurde, dieses heilige Monument der Arbeitervereinigungen, ihr einige Empfehlungsschreiben für Leute in seiner Heimatstadt mitgegeben, obwohl er mit ihren Thesen über die Arbeiterunion nicht übereinstimmte. Dank ihrer konnte Flora Versammlungen mit den Arbeitern der Tuchfabriken und der Eisenbahn Avignon–Marseille abhalten, den bestbezahlten der Region (zwei Francs pro Tag). Doch sie scheiterten an der gewaltigen Unwissenheit dieser Männer, die trotz der brutalen Ausbeutung, der sie ausgesetzt waren, apathisch vor sich hin vegetierten und sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatten. Bei dem Treffen mit den Tucharbeitern verkaufte sie nur vier Exemplare von L’Union Ouvrière und bei der Versammlung mit den Eisenbahnarbeitern zehn. In Avignon hatte man keine große Lust, die Revolution zu machen.
    Als sie erfuhr, daß in den fünf Textilfabriken des reichsten Industriellen von Avignon die Arbeitszeit zwanzig Stunden täglich betrug, drei oder vier Stunden mehr als üblich, wollte sie diesen Unternehmer kennenlernen. Monsieur Thomas hatte nichts dagegen, sie zu empfangen. Er wohnte im ehemaligen Palais der Herzöge von Crillon, in der Rue de la Masse, wohin er sie früh am Morgen bestellte. Das prächtige Anwesen barg in seinem Innern ein Chaos von Möbeln und Bildern verschiedener Epochen und Stile, und das Büro von Monsieur Thomas – ein klapperdürrer, nervöser Mensch mit einer Energie, die ihm aus den Augen sprang – war alt, schmutzig, mit Wänden, von denen die Farbe blätterte, und Unmengen von Papieren, Schachteln und Mappen auf dem Boden, zwischen denen sie sich kaum bewegen konnte.
    »Ich fordere von meinen Arbeitern nichts, was ich nicht selber tue«, bellte er Flora an, als diese ihm ihre Mission erklärte und ihm vorwarf, er lasse den Arbeitern nur vier Stunden zum Schlafen. »Denn ich arbeite vom Morgengrauen bis Mitternacht und überwache persönlich den Gang der Dinge in meinen Werkstätten. Ein Franc pro Tag ist ein Vermögen für einen Nichtsnutz. Lassen Sie sich nicht vom äußeren Schein täuschen, Madame. Sie leben wie Hungerleider, weil sie nicht sparen können. Sie geben ihren Verdienst für Alkohol aus. Und damit Sie es wissen, ich bin Abstinenzler.«
    Er erklärte Flora, daß er niemandem diese Arbeitszeiten aufzwinge . Wem dieses System nicht gefalle, der könne sich anderswo Arbeit suchen. Für ihn sei das kein Problem; sollte es in Avignon an Arbeitskräften fehlen, würde er sie aus der Schweiz importieren. Mit diesen Barbaren aus den Alpen habe er nie Schwierigkeiten: sie arbeiteten stumm und dankbar für den Lohn, den er ihnen bezahle. Diese rohen Schweizer, die wüßten, wie man spart.
    Ohne einen Augenblick zu überlegen, erklärte er Flora, er beabsichtige nicht, ihr auch nur einen Centime für ihre geplante Arbeiterunion zu gebe. Er sei zwar nicht sehr informiert,aber etwas an ihren Ideen komme ihm anarchistisch und subversiv vor. Deshalb werde er ihr auch nicht ein einziges Buch abkaufen.
    »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Monsieur Thomas«, sagte Flora, während sie sich erhob. »Da wir uns nicht mehr sprechen werden, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie weder ein Christ noch ein zivilisierter Mensch sind, sondern ein Menschenfresser, einer, der sich von Menschenfleisch ernährt. Wenn Ihre Arbeiter Sie eines Tages aufhängen, dann haben Sie es sich redlich verdient.«
    Der Unternehmer brach in lautes Lachen aus, als hätte Flora ihm ein Kompliment gemacht.
    »Mir gefallen Frauen mit starkem Charakter«, sagte er anerkennend, bestens gelaunt. »Wenn ich nicht so beschäftigt wäre, würde ich Sie einladen, ein Wochenende auf meinem Landgut im Vaucluse zu verbringen. Sie und ich, wir würden uns prächtig verstehen, meine Dame.«
    Nicht alle Unternehmer in Avignon waren so plump. Monsieur Isnard empfing sie höflich, hörte ihr zu, schrieb sich für fünfundzwanzig Francs in die Arbeiterunion ein und bestellte bei ihr zwanzig Bücher, »um sie unter den intelligentesten Arbeitern zu verteilen«. Er räumte

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