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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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und Ausfälle und nannten ihn den Barbaren oder den Hinkefuß oder auch den Kannibalen. Daß er nicht mehr ganz richtig im Kopf war, offenbarten die Widersprüche, in die er sich verwickelte, wenn er sein vergangenes Leben heraufbeschwor. Er rühmte sich, ein direkter Nachfahre des letzten Aztekenherrschers, genannt Moctezuma, zu sein, und wenn jemand ihn respektvoll darauf hinwies, er habe vor einigen Tagen versichert, daß er in gerader Linie von einem Vizekönig Perus abstamme, sagte er, so sei es in der Tat, und außerdem habe er eine Großmutter, Flora Tristan, Anarchistin zu Zeiten Louis-Philippes, der er als Kind geholfenhabe, die Bomben und das Pulver für die terroristischen Attentate auf die Bankiers vorzubereiten. Es machte ihm nichts aus, sich zu Behauptungen zu versteigen, die weder Hand noch Fuß hatten, oder in grobe Anachronismen zu verfallen; seine Erinnerungen waren die Augenblickserfindungen von jemandem, der von der Wirklichkeit abgekoppelt war, eines Kopfes, der sich eine Vergangenheit fabriziert hatte, weil Krankheiten, Medikamente, Wahnideen und Alkoholräusche seine eigene aufgelöst hatten.
    Kein Siedler, kein Offizier der kleinen Garnison, kein Beamter lud ihn zu sich nach Hause ein, noch gestattete man ihm den Zutritt zum Militärklub. Für die Familien der kleinen kolonialen Gesellschaft von Tahiti-nui war er fortan ein Aussätziger: wegen seines skandalösen Lebenswandels, weil er in aller Offenheit mit eingeborenen Frauen zusammengelebt, sich mit Prostituierten geschmückt und sowohl in Mataiea als auch in Punaauia Sittenskandale provoziert hatte – die der Klatsch bis zum Delirium übertrieb –, und wegen des schlechten Rufs, den er den Priestern und Pastoren (vor allem Pater Damian) verdankte, die zwar im Streit um die Seelen der Eingeborenen heftig miteinander rivalisierten, sich aber darin einig waren, daß Paul, der betrunkene, degenerierte Maler, eine öffentliche Gefahr, eine Schande für die Gesellschaft, eine Quelle sittlicher Verfehlungen darstellte. Jeden Augenblick könnte er irgendein Verbrechen begehen. Was war von einem Subjekt zu erwarten, das öffentliche Lobreden auf den Kannibalismus hielt?
    Eines Tages erschien im Bauamt ein schwangeres Eingeborenenmädchen, das nach ihm fragte. Es war Pau’ura. Mit der größten Selbstverständlichkeit, als hätten sie sich am Vorabend verabschiedet – »Guten Tag, Koke« –, zeigte sie mit einem halben Lächeln auf ihren Bauch. In der Hand hielt sie ihr Kleiderbündel.
    »Kommst du zu mir zurück?«
    Pau’ura nickte.
    »Was du da im Bauch hast, ist das von mir?«
    Das Mädchen nickte abermals, sehr sicher, mit Schalk in den Augen.
    Er freute sich sehr. Doch sogleich traten Schwierigkeiten auf, wie es nicht anders sein konnte bei dir, Koke. Die Besitzerin der Pension erlaubte nicht, daß Pau’ura das Zimmer mit Paul teilte, mit der Begründung, ihre Pension sei zwar bescheiden, aber ehrbar, und unter ihrem Dach lebten keine illegitimen Paare zusammen, schon gar nicht ein Weißer mit einer Eingeborenen. Daraufhin begann eine elende Odyssee durch die Familienhäuser Papeetes, die Zimmer vermieteten. Überall weigerte man sich, sie aufzunehmen. Paul und Pau’ura mußten nach Punaauia fliehen, auf das kleine Landgut von Pierre Levergos, der bereit war, sie so lange zu beherbergen, bis sie einen Unterschlupf fänden, womit der ehemalige Soldat sich die Feindschaft von Pater Damian und Ehrwürden Riquelme einhandelte.
    Das Leben Kokes, der nun in Punaauia lebte und in Papeete arbeitete, wurde äußerst schwierig. Er mußte, noch im Dunkeln, den ersten öffentlichen Wagen nehmen und kam trotzdem eine halbe Stunde zu spät zu seinem Arbeitsplatz. Als Ausgleich für die Verspätung erbot er sich, nach dem Schließen der Büros eine halbe Stunde länger zu bleiben.
    Als hätte er nicht schon genug Probleme, setzte er sich etwas völlig Absurdes in den Kopf: Er wollte die Pensionen und Herbergen Papeetes gerichtlich belangen, die ihm mit seiner vahine die Unterkunft verweigert hatten, unter der Anklage, daß sie gegen die Gesetze Frankreichs verstoßen hatten, die verboten, Bürger aus rassischen oder religiösen Gründen zu diskriminieren. Er verlor Stunden und Tage damit, Anwälte zu befragen und den Staatsanwalt über die Höhe der Entschädigungen zu konsultieren, die er und Pau’ura für das ihnen angetane Unrecht verlangen konnten. Alle versuchten, ihn davon abzubringen, mit dem Argument, daß er einen derartigen Prozeß niemals

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