Das Paradies ist anderswo
gewinnen würde, weil die Gesetze den Besitzern und Verwaltern von Hotels und Pensionen das Recht gaben, Personen abzuweisen,die sie nicht für achtbar hielten. Und welche Achtbarkeit konnte er geltend machen, er, der in einem offen ehebrecherischen Verhältnis, einer illegitimen Verbindung oder in Bigamie lebte, noch dazu mit einer Eingeborenen, der aufgrund seiner alkoholischen Exzesse unzählige Male polizeilich auffällig geworden war und auf dem obendrein die Anklage lastete, aus der Klinik geflohen zu sein, um nicht zahlen zu müssen, was er ihr schuldete? Es war ein Akt des Mitleids, daß die Ärzte des Hospitals Vaiami wegen des entstandenen Schadens nicht rechtlich gegen ihn vorgegangen waren; wenn er jedoch auf diesem Prozeß beharrte, käme diese Angelegenheit ans Licht der Öffentlichkeit, und Koke hätte das Nachsehen.
Es waren nicht diese Argumente, die ihn von seinem Vorhaben abbrachten, sondern ein gemeinsamer Brief seiner Freunde Daniel de Monfreid und des guten Schuff, der ihn Mitte 1897 wie ein Geschenk des Himmels erreichte. Er kam zusammen mit einer Überweisung von tausendfünfhundert Francs und kündete eine weitere Geldsendung in nächster Zeit an. Ambroise Vollard habe begonnen, seine Bilder und Skulpturen zu verkaufen. Nicht nur einem einzigen Kunden, sondern mehreren. Er habe Verkäufe in Aussicht, die in jedem Augenblick zustande kommen könnten. Es scheine sich eine Wende anzubahnen in seiner Malerei. Seine beiden Freunde freuten sich, daß die Sammler endlich zu erkennen begannen, was einige Kritiker und Maler bereits halblaut zugaben: daß Paul ein großer Künstler war, daß er die ästhetischen Muster revolutioniert hatte. »Wir schließen nicht aus, daß mit Dir das gleiche passiert wie mit Vincent«, fügten sie hinzu. »Nachdem er systematisch ignoriert wurde, streiten sich jetzt alle um seine Bilder und bezahlen irrsinnige Preise für sie.«
Am gleichen Tag, an dem er diesen Brief erhielt, gab Paul seine Anstellung im Bauamt auf. In Punaauia erwarb er ein Grundstück, nicht weit von Pierre Levergos’ kleinem Gut entfernt, wo er und seine vahine, da das Haus seines Freundes sehr klein war, unter einem wandlosen Schutzdacham Rand des Obstgartens schliefen. Mit Hilfe des Briefes seiner Freunde und des Schecks sowie der Ankündigung baldiger Geldüberweisungen gelang es ihm, von der Bank von Papeete ein Darlehen für sein neues Haus zu erhalten, dessen Pläne er selbst entwarf und dessen Bau er sorgsam überwachte.
Seit Pau’uras Rückkehr besserte sich sein Zustand erheblich. Er ernährte sich wieder, gewann seine Farbe und vor allem seinen Lebensmut zurück. Man hörte ihn wieder lachen, und er zeigte sich erneut gesellig gegenüber seinen Nachbarn. Nicht nur die Gegenwart seiner vahine machte ihn froh, auch die Aussicht, Vater eines Tahitianers zu werden. Das würde die endgültige Verwurzelung in dieser Erde bedeuten, der Beweis, daß die Götter des Ortes, die Ariori, ihn endlich akzeptierten.
In zwei Monaten war das neue Haus bewohnbar. Es war kleiner als das vorherige, aber solider, mit Wänden und einem Dach, die Regen und Wind standhalten würden. Er hatte nicht wieder gemalt, aber Pierre Levergos zweifelte schon daran, daß er sein Gelöbnis, niemals mehr zum Pinsel zu greifen, halten würde. Denn die Kunst, die Malerei waren ein häufiges Thema ihrer Gespräche. Der ehemalige Soldat hörte mit vorgespieltem Interesse zu, wie Paul Maler kritisierte, von denen er nie etwas gehört hatte, und unverständliche Ideen verfocht. Wie konnte man malend eine Revolution machen, in welcher Manier auch immer? Er vernahm ungläubig, wie Paul in Augenblicken leidenschaftlicher Erregung versicherte, daß Europas, Frankreichs Tragödie begonnen habe, als die Bilder und Skulpturen aufhörten, Teil des Lebens der Menschen zu sein, wie sie es noch im Mittelalter und in allen alten Zivilisationen, der ägyptischen, griechischen, babylonischen, skythischen, inkaischen, aztekischen und auch der hiesigen der alten Maori gewesen waren. Und es noch immer auf den Marquesas waren, wohin er und Pau’ura und das Kind in einiger Zeit übersiedeln würden.
Die unaussprechliche Krankheit machte Kokes körperlicherund seelischer Erholung ein Ende, als sie im März plötzlich heftiger denn je zurückkehrte. Die Wunden an seinen Beinen brachen wieder auf und eiterten. Dieses Mal verschaffte ihm die aus Arsen hergestellte Salbe keine Linderung. Zugleich verstärkten sich wieder die Schmerzen im
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