Das Paradies liegt in Afrika
führte sie durch drei lange Korridore. Aus einigen Krankensälen drang unterdrücktes Stöhnen, Schwestern hasteten hin und her, trugen Tabletts mit Verbandmaterial oder Teekannen in die Räume.
»Bitte, Missis Ruhland, hier hinein.« Der Arzt hielt Karoline eine grün gestrichene Holztür auf. Dahinter befand sich sein Arbeitszimmer, das von einem groÃen Schreibtisch beherrscht wurde. In einer Ecke hing, von einem Skelett halb verdeckt, die britische Fahne.
Dies alles registrierte Karoline ganz automatisch. Sie nahm auf dem verschlissenen Ledersessel, den Dr. Sherman ihr anbot, Platz und verschlang die Hände ineinander. »Bitte sagen Sie mir, was mit meinem Sohn ist, Herr Doktor.« Flehend sah sie ihn an. »Seit man mir die Mitteilung überbrachte, er sei schwer verletzt worden, bin ich auÃer mir vor Sorge. Ich habe mich sofort in eine Kutsche gesetzt und bin hergekommen.« Sie biss sich auf die Lippen, dann fuhr sie leiser fort: »Wir leben auf einem Weingut, Victor ist mein einziger Sohn. Es war nicht leicht, herauszufinden, ob er es wirklich ist, den man zu Ihnen ins Hospital gebracht hat. SchlieÃlich ist er kein Engländer, kein Mitglied der britischen Armee.«
Dr. Sherman nickte. »Ich weiÃ, einer seiner Kameraden hat es mir gesagt. Glauben Sie mir, ich verstehe Ihre Ãngste. Deshalb sage ich Ihnen als Erstes: Ihr Sohn wird leben! Aber ich musste ihm das Bein abnehmen. Während des langen Transportes hatte sich Wundbrand gebildet, es ⦠es gab keine andere Möglichkeit, sein Leben zu retten.«
Karoline schlug die Hände vors Gesicht. Sie weinte vor Erleichterung, vor Entsetzen, vor Angst. Widerstreitende Gefühle erfüllten sie. Aber eines dominierte: das Glück darüber, dass Victor lebte!
Für einen kurzen Moment lieà der Arzt sie gewähren. Dann räusperte er sich:
»Sie können zu ihm, wenn Sie sich stark genug fühlen. Er wird sicher bald aus dem Narkoseschlaf erwachen. Da ist es gut, wenn er einen vertrauten Menschen um sich hat.« Langsam, beinahe schwerfällig erhob er sich und reichte Karoline die Hand. »Mich entschuldigen Sie, ich muss mich noch um etliche andere Verwundete kümmern.« Aus müden Augen sah er sie an.
»Danke, Herr Doktor.« Karoline musste alle Selbstbeherrschung aufbieten, um aufrecht das Zimmer zu verlassen.
Eine Ordensschwester mit einem schmalen, gütigen Gesicht führte sie zu dem Krankensaal, in dem Victor lag. »Was ist schon ein Bein«, sagte sie und drückte Karolines Arm. »Er lebt. Er wird weiterhin bei Ihnen sein können â nur das zählt, nicht wahr?«
Karoline nickte nur. Fest hielt sie die Lippen zusammengepresst, um das wehe Schluchzen, das in ihrer Kehle brannte, zurückzuhalten.
In dem abgedunkelten Krankensaal standen ein Dutzend Betten. In dem ersten, der Tür am nächsten, lag ein Mann, dessen Kopf fast vollständig verbunden war. Auch drei andere Männer trugen Kopfverbände, einer von ihnen schrie immerzu einen Namen.
»Gebt ihm doch endlich was gegen die Schmerzen.« Ein älterer Mann, der in seinem Bett saà und immerzu auf den Armstumpf starrte, der ihm verblieben war, blickte die Ordensfrau kurz an. »Das hält kein Mensch aus, das Geschrei.«
»Er hat alles bekommen, was er haben darf.« Die Schwester trat zu dem wie irre Rufenden und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich bin ja da«, sagte sie leise. »Sei still, alles wird gut.« Tiefer beugte sie sich zu ihm, so dass der Schleier ihrer Ordenshaube weit nach vorn fiel. Und wirklich wurde der schwerverwundete Soldat für ein paar kurze Augenblicke still. Dann aber, als sie seine Hand wieder loslieÃ, begannen die Schreie erneut.
Aufseufzend wandte sich die Ordensfrau ab. »Er wird sterben«, sagte sie leise zu Karoline. »Die Kopfwunde ist zu groÃ.«
»Aber â kann man denn nichts tun?«
»Nein.« Die Nonne wandte sich dem letzten Bett zu. Hier lag, noch im Narkoseschlaf, Victor Ruhland. »Setzen Sie sich zu ihm. Er wird so bald noch nicht wach werden. Ich lasse Ihnen Tee bringen. Eine starke Tasse Tee hilft immer.« Tröstend drückte sie Karolines Arm, dann ging die Nonne zurück zu dem jungen Soldaten, der noch ein paarmal laut aufstöhnte, sich kurz aufbäumte und dann seinen letzten Atemzug tat. Mit Tränen in den Augen sah Karoline zu, wie die Schwester ihm mit
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