Das Paradies
Niedergeschlagenheit. Er fragte sich, was das alles für einen Sinn haben sollte. Diese albernen Vergnügen fand er keineswegs unterhaltsam. Er warf einen prüfenden Blick auf die Herren, die sich um den König drängten – eine Schar junger Männer, die alle aussahen wie er selbst. Wir sind eigentlich Arbeitsbienen oder besser gesagt Drohnen, dachte er bitter und nahm das nächste Glas Champagner vom Tablett eines Kellners. Jedermann wußte, daß Farouk sein Gefolge mit einem besonderen Blick für Attraktivität und Geschliffenheit auswählte – junge Männer mit olivbrauner Haut, mit schönen braunen Augen und schwarzen Haaren. Sie waren alle um dreißig oder Ende zwanzig, reich und ohne sonstige Verpflichtungen, trugen Fräcke, die sie in der Savile Row in London bestellten, und sprachen ein manieriertes Englisch, das sie in England gelernt hatten. Aber auf dem Kopf tragen sie alle, stellte Ibrahim mit ungewohntem Zynismus fest, den roten Fez, das eifersüchtig gehütete Symbol der ägyptischen Oberklasse. Einige hatten ihren so weit in die Stirn geschoben, daß er fast auf den Augenbrauen saß. Araber, die keine Araber sein wollen, dachte Ibrahim geringschätzig, Ägypter, die sich als englische Gentlemen fühlen.
Ibrahim hatte zwar eine beneidenswerte Stellung, trotzdem überkam ihn hin und wieder diese Art Niedergeschlagenheit. Gewiß, er war der königliche Leibarzt, aber das konnte er sich nicht als eigenes Verdienst anrechnen, denn er hatte diese Stellung seinem einflußreichen Vater zu verdanken.
»Bei Gott«, murmelte Ibrahim seinem Freund Hassan zu und blickte wieder verstohlen auf die Uhr, »es ödet mich an. Ich möchte nach Hause zu meiner Frau. Ich liebe meine Frau. Sie braucht mich.« Ibrahim sprach so leise, daß niemand ihn hören konnte. Er durfte mit seinen Worten nicht das königliche Vergnügen beeinträchtigen. An diesem Abend besuchte der König das elegante Casino am Nil, den Club Cage d’Or. Die teuersten Wagen fuhren dort vor, und der ägyptische König verspielte im Kreis seiner britischen und ägyptischen Freunde unglaubliche Summen. Die Nightclub-Runde hatte bereits vor eineinhalb Tagen begonnen, als es Farouk in den Sinn kam, mit seinem Gefolge von einem Club zum anderen, von einem Hotel zum nächsten zu ziehen. Und noch war ein Ende nicht abzusehen.
Es hatte viele Nachteile, Farouks Leibarzt zu sein, und dazu gehörte auch, Abende wie diese an seiner Seite zu verbringen. Im Grunde, so dachte Ibrahim, ist das reine Zeitverschwendung. Ich stehe unter diesen hellen Kronleuchtern und habe Kopfschmerzen, weil ich die albernen Rumbaklänge des Orchesters nicht mehr hören kann, während diese Frauen in hautengen Kleidern mit den befrackten Herren tanzen, als würden sie es in aller Öffentlichkeit miteinander treiben.
Als Leibarzt kannte Ibrahim den König inzwischen besser als jeder andere. Er kannte ihn sogar besser als Königin Farida. Den Gerüchten nach hatte Farouk einen sehr kleinen Penis und eine sehr große Pornographiesammlung. Ibrahim wußte, nur das eine stimmte, aber er wußte auch, daß der fünfundzwanzigjährige Farouk im Grunde noch ein Kind war. Der König aß leidenschaftlich gerne Eis, freute sich über dumme Witze und verschlang
Dagobert Duck
-Comics, die er regelmäßig aus Amerika bezog. Zu seinen Leidenschaften gehörten Katherine Hepburn-Filme und das Roulette, aber auch Jungfrauen wie die Siebzehnjährige mit der milchweißen Haut, der er an diesem Abend den königlichen Arm gereicht hatte.
Die Menge um den Roulette-Tisch wuchs, denn jeder wollte sich im königlichen Licht sonnen, das besonders hell strahlte, denn Farouk hatte eine Glückssträhne. Ägyptische Bankiers, türkische Geschäftsleute und europäische Adlige, die Hitlers Truppen entkommen waren, drängten sich um ihn und gratulierten ihm zu seinem Gewinn. Nachdem Rommels Einmarsch überstanden war, feierte die Stadt ausgelassen die deutsche Kapitulation. In den lauten Nightclubs konnten keine unguten Gefühle aufkommen, noch nicht einmal gegen die Engländer.
Hassan amüsierte sich über die schlechte Laune seines Freundes. »Du bist doch ein richtiger Exzentriker!« spottete er, klatschte und jubelte wie die anderen, als der König wieder gewann, und strich dabei der Blondine genießerisch über den Po. Hassan wußte nicht einmal, wie sie hieß. Er hatte die bezaubernde junge Dame hier im Casino kennengelernt, aber er wollte sie erobern und heute noch mit ihr schlafen. »Vergiß nicht, mein
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