Das Paradies
Ergebenheit, sogar mit dem Gefühl der Rettung, als sei ihr Todesurteil an diesem eisigen Morgen in der Wüste aufgehoben worden.
»Rachel«, sagte sie, »ich glaube, du hast recht. Ich werde mich um eine Aussöhnung bemühen. Als erstes werde ich Jasmina eine Geburtstagskarte schreiben. Ich glaube, meine Schwester wird mich verstehen.« Amy dachte an das Buch, das Tante Marijam ihr gegeben hatte.
Sie blickte auf die Sonne und spürte die neue Kraft in sich, die Kraft, die sie hier in Amerika hatte finden wollen und um derentwillen sie lange einsame Jahre gearbeitet hatte. »Und dann«, fuhr sie fort, »werde ich das tun, was Dr. Connor für möglich hält. Ich werde in die Welt hinausgehen und etwas für die Kinder tun, denen wir Ärzte zu einem besseren Leben verhelfen können.«
21 . Kapitel
Die Dienstboten hatten den ganzen Morgen geputzt, Staub gewischt und gefegt, während Khadija die Verteilung der Blumen beaufsichtigte, die Gänge für das Mittag- und das Abendessen festlegte und den Verwandten, die von außerhalb kamen, ihre Zimmer zuwies.
Nur Nefissa ließ sich von der allgemeinen Geschäftigkeit nicht anstecken. Sie zog es vor, die Vormittage in ihrem Zimmer zu verbringen. Das heißt, sie beschäftigte sich mit ihrer Toilette und führte endlose Telefongespräche, um sich auf dem laufenden darüber zu halten, was an Skandalen, Klatsch und neuesten Trends in ihren Kreisen die Gemüter beschäftigte. Immer wieder sprach man sie auf ihre Nichte Jasmina an, die auf ihrer vier Monate langen Tournee Triumphe gefeiert hatte, besonders in Kuweit, Saudi Arabien und in Algier. Sie war sogar in Paris und Monte Carlo aufgetreten. An diesem Abend würde sich Jasmina zum ersten Mal nach ihrer Rückkehr wieder im Rahmen einer Galavorstellung zugunsten von UNICEF , des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, ihren Verehrern in Ägypten zeigen. Ihre Freundin Schariba hatte ihr gerade in aller Ausführlichkeit berichtet, welche Prominenten unter den Zuschauern sein würden. Der Gala-Abend war
das
gesellschaftliche Ereignis schlechthin, bei dem die größten Stars der arabischen Welt auftraten, und Jasmina war natürlich dabei.
Der Erfolg einer Raschid schmeichelte Nefissa und brachte ihr das besondere Interesse ihrer Freundinnen ein. Aber er weckte auch Nefissas Neid. Warum fielen Glanz und Ruhm auf die anderen Frauen ihrer Familie? Dahiba und Jasmina führten ein Leben im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, umjubelt und angebetet von den Männern, während Nefissa immer zusehen mußte. Warum verstanden es nur andere, wirklich zu
leben
?
Jasmina hatte sogar Zeinab auf die Tournee mitgenommen. Man mußte sich das vorstellen – ein so junges Mädchen begleitete seine »Mutter« in die Metropolen des Showgeschäfts, in eine doch eher zweifelhafte Welt des internationalen Nachtlebens, auch wenn Jasmina ein großer Star war und nur in den größten und teuersten Theatern, Casinos, Clubs oder Varietés auftrat. Ein behindertes Mädchen wie Zeinab wäre zu Nefissas Zeit nie aus dem Haus gekommen und von niemandem beachtet worden. Aber dieses Kind sah mehr von der Welt als Nefissa, deren Schönheit ein Grund für Umma gewesen war, sie im Haus einzuschließen und wie eine Gefangene auf Schritt und Tritt zu bewachen. Nefissa stand immer auf der falschen Seite. Warum?
Nefissa ging unzufrieden die Treppe hinunter. Mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen betrat sie das Vestibül neben der Eingangshalle und griff nach dem Stapel Post, der gerade gebracht worden war. Ohne auf die geschäftigen Geräusche im Haus zu achten, auf die Mädchen, die lachten, auf die beiden Radios, in denen verschiedene Sender eingestellt waren, sortierte sie Umschläge und Karten und prägte sich ein, wer was und vom wem bekommen hatte. Sie betrachtete dieses tägliche Ritual als ihr Privileg, das ihrem Status im Haushalt entsprach. Sie war Khadijas Tochter und die Mutter von Omar, Khadijas einzigem Enkelsohn.
An diesem heißen Tag im August stellte sie zufrieden fest, daß mit den Briefen auch eine Postkarte von Omar eingetroffen war. Ihr Sohn hielt sich in Bagdad auf und kündigte an, er werde am Ende der nächsten Woche nach Hause kommen.
Al hamdu lillah,
dachte Nefissa. Gott sei gepriesen. Ich wünsche ihm schon jetzt eine gute Reise.
Omars Rückkehr bedeutete, daß sie selbst und seine Frau Nala mit den Kindern wieder in die Wohnung nach Bulaq übersiedeln würden.
Nefissa hatte grundsätzlich nichts gegen die Zeiten in der
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