Das Paradies
ihrer Hand. Sie wußte, was Amira ihrer Schwester Jasmina schrieb, denn sie hatte ihr schon einmal einen Brief geschickt, der zusammen mit der üblichen Geburtstagskarte im Mai angekommen war. Amira hatte es nicht offen ausgesprochen, aber es war klar, daß sie plante, nach Ägypten zurückzukehren.
Nefissa würde das unter allen Umständen verhindern. Sie wollte nicht, daß ihre Nichte zurückkam. Sie hatte alles getan, um Mohammeds halb-englische Mutter aus seinem Herzen zu verdrängen, ihn vergessen zu lassen, daß auch in seinen Adern englisches Blut floß. Mohammed sollte ihr gehören. Er war ihr Liebling, denn er war Omars Sohn.
Das Leben behandelte Nefissa wie ein Stiefkind. Die große Liebe war unerreichbar gewesen, und mit sechsundfünfzig blieben ihr nur Bitterkeit und ein demütigendes Schattendasein. Aber sie würde sich nicht abschieben lassen. Sie wollte kämpfen! Sie hatte nur noch ihren Enkelsohn, und sie würde ihn um keinen Preis mit seiner Mutter teilen, die ihm jedes Jahr eine Geburtstagskarte schickte und nach so vielen Jahren aus heiterem Himmel beschloß, einfach zurückzukommen. Ibrahim hatte Amira für tot erklärt.
Soll sie doch tot bleiben.
Nefissa legte die sortierte Post auf den kleinen Sekretär und sah zu ihrer Überraschung Jasmina und Hakim ins Haus kommen. Die beiden unterhielten sich angeregt und gingen in den kleinen Salon.
Hatte ihre Freundin Schariba vielleicht doch recht? Sie hatte behauptet, Jasmina denke daran zu heiraten, um ihrer Tochter Zeinab einen Vater zu geben. Nefissa hatte schallend gelacht. Welcher Mann würde sich auf so etwas einlassen? Jasmina konnte keine Kinder bekommen. Sie würde niemals ihre Karriere aufgeben, und sie war unter Dahibas Einfluß eine Feministin mit sehr eigenwilligen Ansichten geworden. Doch als Nefissa den beiden nachsah, kam ihr ein Verdacht.
Sie verließ das Vestibül mit Amiras Brief in der Tasche und betrat den großen Salon. Als sie sich in der Nähe der Tür zum kleinen Salon auf einen Diwan setzte, dachte sie bitter: Wie anders mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn man mir erlaubt hätte, den englischen Leutnant zu heiraten …
Während Hakim sich diplomatisch bei Fahed über die notwendigen Einzelheiten informierte – eine Adresse im teuren Viertel Heliopolis, eine Familie, die zwei Paschas und einen Bey aufweisen konnte, und einen soliden finanziellen Hintergrund, der selbst den reichen Raouf beeindruckte –, beobachtete Jasmina den reichen Antiquitätenhändler aus den Augenwinkeln.
Fahed suchte keine Frau, die ihm Kinder schenken würde. »Ich bin«, sagte er, »ein Freund schöner Dinge.«
Aber wollte sie einen solchen Ehemann?
Jasmina hatte das Angebot für eine große Tournee, zu der man sie schon lange drängte, zu Dahibas und Hakims Verblüffung ganz plötzlich angenommen, um über Jakob Mansour hinwegzukommen. Vier Monate lang hatte sie vor begeisterten Zuschauern im Ausland, sogar in Europa getanzt, aber es war ihr nicht gelungen, das Gefühl von Jakobs Körper zu vergessen. Sie sehnte sich nach seinen Armen, mit denen er sie schützend an sich gedrückt hatte, als Fanatiker die Fensterscheibe der Redaktion einwarfen.
Jakob hatte nach Seife und Tabak und einem aufregenden Gewürz gerochen, das sie nicht kannte. Und selbst jetzt, wenn sie den etwas gedrungenen Mann mit den dünner werdenden Haaren und der altmodischen Brille mit dem eleganten Fahed verglich, der die gesellschaftlichen Formen beherrschte, ihre Großmutter und Hakim mit amüsanten Geschichten unterhielt, der sich weltmännisch über alle Themen äußerte, die zur Sprache kamen, spürte sie Jakobs Kuß, als sei er in ihre Lippen eingebrannt. Ihr Körper, ihr ganzes Wesen schien sich nach ihm zu sehnen. Jasmina mußte sich resigniert eingestehen, daß es ihr auch durch die Tournee nicht gelungen war, sich von ihm freizumachen.
Aber sie hatte unterwegs lange Gespräche mit Dahiba und Hakim geführt. Sie hatte ihre freie Zeit Zeinab gewidmet. Sie hatte das Mädchen beobachtet, hatte ihre Fragen beantwortet, so gut sie konnte, hatte ihre Ängste und Sehnsüchte in der fremden Umgebung viel deutlicher erlebt und einen Entschluß gefaßt. Sie mußte Zeinab eine sichere Zukunft geben, sonst würde das Verhängnis ihrer Geburt ans Licht kommen und alle Mühe wäre umsonst. Das Kind brauchte unbedingt einen Vater, der ihm Sicherheit und Selbstvertrauen schenkte. Jasmina war deshalb bereit, aus Gründen der Vernunft einen Mann zu heiraten, der in der
Weitere Kostenlose Bücher