Das Paradies
Ähnlichkeit mit Hassan al-Sabir und mußte an die wirkliche Mutter denken. Dann überfiel sie die alte Furcht, Amira könnte eines Tages plötzlich auftauchen und Zeinab die Wahrheit sagen – ihr sagen, daß sie das ungewollte Kind aus einer ehebrecherischen Verbindung war. Zeinab würde dann auf grausame Weise erfahren, daß ihr Vater ermordet und ihre Mutter nach ihrer Geburt von der Familie verstoßen worden war.
Über die Jahre hinweg hatte es wenig Grund für die Angst gegeben, das Geheimnis könnte in der Familie bekannt werden. Für die jüngeren Raschids war Jasmina tatsächlich Zeinabs Mutter, und die älteren behielten die Wahrheit für sich. Doch Amiras Auftauchen würde die sorgfältig konstruierte Illusion zerstören. Jasmina fürchtete, die Wahrheit könnte für Zeinab vernichtend sein.
Nefissa sah sich wie so oft veranlaßt, vehement eine andere Meinung zu vertreten. Sie sagte: »Rosmarin! Jeder weiß, daß Kamillentee das beste Mittel gegen Krämpfe ist.«
Sie blickte wohlgefällig auf das kleine Kind zu ihren Füßen – ihre jüngste Urenkelin, Asmahans Tochter. Nefissa war zweiundsechzig. Die herabgezogenen Mundwinkel hatten sich so fest in ihr Gesicht eingegraben, daß sie die Lippen selbst beim Lachen nach unten und nicht nach oben zog.
Nefissa dachte nicht gern daran, daß Tahia Großmutter war, denn das gab ihr das Gefühl, uralt zu sein. Tahia hielt hartnäckig an ihrer Überzeugung fest, Zacharias werde eines Tages zurückkommen. Wie konnte sie sich an einen solchen verrückten Traum klammern, obwohl fünfzehn Jahre ohne ein Wort von ihm vergangen waren? Vielleicht ist er im Nil ertrunken, dachte Nefissa und nahm die kleine Fahima hoch, weil sie zu weinen anfing.
Als Nefissa Zeinabs Lachen hörte, musterte sie die junge Frau, auf deren Haar das Sonnenlicht schimmerte. Ihre Augen ähnelten Amiras Augen. Sie hatte auch etwas von Alice an sich – die langen, glatten Arme und die schmalen gelenkigen Finger. Nefissas Blick wanderte zu den Grübchen in Zeinabs Wangen, und sie sah Hassan al-Sabir vor sich.
Es schien lange her zu sein, daß sie in ihn vernarrt gewesen war, daß Hassan sie gedemütigt hatte, als er lachend sagte: »Warum sollte ich
dich
heiraten?«
Man hatte seinen Mörder nie gefunden. Ein Mann wie er, so hatte die Polizei gesagt, mußte viele Feinde gehabt haben. Die Liste der Leute, die ihm den Tod gewünscht haben mochten, war zu lang, um Anhaltspunkte zu liefern. Die Zahl der Verdächtigen, so erklärte die Polizei, sei Legion. Und so war der Schuldige ungestraft davongekommen. Aber manchmal fragte sich Nefissa, ob nicht eines Tages ganz zufällig ein Hinweis auftauchen würde, der seinen Mörder schließlich doch verriet.
Die kleine Fahima begann, noch lauter zu schreien. Nefissa trug sie hinüber zu Asmahan, die sich mit Fadilla unterhielt. Als sie danach die Stufen des Pavillons hinunterstieg, sah sie durch das offene Gartentor den Mercedes ihrer Schwester am Bordstein parken. Nefissas Neugier erwachte. Warum blieben Dahiba und ihr Mann im Wagen sitzen und stiegen nicht aus?
»Wir gehen nach Amerika«, sagte Hakim leise. Tränen standen ihm in den Augen. »Wir gehen nach Frankreich, in die Schweiz. Wir finden einen Spezialisten, eine Behandlungsmethode. Ich schwöre beim Propheten, wenn du stirbst, möchte ich auch nicht mehr leben. Du bist mein Leben, Dahiba.«
Er sank schluchzend in sich zusammen, und sie nahm ihn in die Arme. »Du bist der wunderbarste Mann, der je gelebt hat. Ich konnte keine Kinder bekommen, und es hat dir nichts ausgemacht. Ich wollte tanzen, und du hast mich tanzen lassen. Ich schrieb gefährliche Zeitungsartikel, und du hast mich unterstützt. Hat Gott je einen besseren Mann geschaffen?«
»Ich bin nicht vollkommen, Dahiba. Ich war nicht der beste Ehemann für dich!«
Sie nahm sein Gesicht in die Hände. »Alifa Rifaats Mann hatte ihr verboten zu schreiben. Deshalb schrieb sie ihre Geschichten heimlich, versteckte sie im Badezimmer und konnte sie erst nach seinem Tod veröffentlichen. Du bist ein guter Mann, Hakim Raouf. Du hast mich vor der Mohammed Ali-Straße gerettet.«
»Soll ich mit dir hineingehen?«
»Ich möchte allein mit meiner Mutter sprechen. Ich komme später nach Hause.«
Dahiba ging in den Garten und gab ihrer Mutter vom Weg aus ein Zeichen. Dann eilte sie ins Haus, ohne den anderen auch nur einen Blick zu gönnen. Khadija war überrascht. Es sah ihrer Tochter nicht ähnlich, so unhöflich zu sein.
Im Haus
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