Das Paradies
gewartet hatte. Wie würde das erste ungestörte Zusammentreffen mit ihrem englischen Leutnant sein? Unruhig ging sie in dem Saal hin und her. Sie wünschte sich, daß er bald eintraf. In ihren Träumen war er ein sanfter und einfühlsamer Liebhaber. Aber sie hatte im Kreis der Freundinnen der Prinzessin auch ganz andere Geschichten gehört. Am Hof gab es Frauen, die ungezwungen mit Ausländern verkehrten, und sie behaupteten, die Engländer hätten kaltes Blut. Würde ihr Offizier wenig Geschmack an einer wirklich langen Liebesnacht haben? Vielleicht kam er herein, riß sie an sich, verschaffte sich Befriedigung und verschwand dann auf Nimmerwiedersehen …
Als Nefissa irgendwo im Park den klagenden Ruf eines Pfaus hörte, wuchsen ihre Ängste. Es wurde spät. Schon zweimal war ein Treffen nicht zustande gekommen – einmal verhinderte ein Zornesausbruch von Omar, daß sie rechtzeitig zu dem Rendezvous erschien, und ein anderes Mal sagte er in letzter Minute ab, weil er für einen erkrankten Kameraden den Dienst übernehmen mußte. Ihre Angst verwandelte sich in Panik. Die Zeit ihrer Freiheit würde bald vorüber sein. Nefissa wollte heute nicht an die Männer denken, mit denen ihre Mutter Gespräche führte, um sie zu verheiraten. Es waren reiche, gebildetete und nicht unattraktive Männer. Wie lange noch würde sie Ausflüchte finden, um den und den abzulehnen? Wie lange würde ihre Mutter Geduld haben, bis sie schließlich sagte: »Soundso ist der Richtige für dich, Nefissa. Er ist ein Ehrenmann. Du mußt wieder heiraten, deine Kinder brauchen einen Vater.«
Aber ich möchte nicht heiraten, dachte sie, noch nicht, denn dann ist es mit meiner Freiheit vorbei, und ich werde nicht noch einmal die Gelegenheit zu einer Nacht voll wunderbarer verbotener Liebe haben.
Nefissa hörte Schritte.
Der Samtvorhang bewegte sich wie im Wind, und er war da. Er nahm seine Uniformmütze ab. Das Licht fiel auf die blonden Haare.
Nefissa stockte der Atem.
Er trat ein und sah sich in dem riesigen Saal um. Seine glänzenden Stiefel hallten auf dem Marmor. »Wo sind wir hier?«
»In einem Harem. Er wurde vor dreihundert Jahren gebaut …«
Er lachte. »Das ist wie im Märchen, wie aus ›Tausend Nächten‹!«
»Tausendundeine Nacht«, verbesserte ihn Nefissa. Sie konnte noch immer nicht glauben, daß er wirklich da war. Endlich waren sie zusammen und allein. »Gerade Zahlen bringen Unglück«, fügte sie hinzu und staunte, daß ihre Stimme nicht versagte und sie den Mut aufbrachte, so frei und ungezwungen mit ihm zu reden. »Deshalb erzählte Scheherazade nach der tausendsten Geschichte noch eine.«
Er sah sie an. »Mein Gott, wie schön du bist.«
»Ich hatte Angst, daß du nicht kommen würdest.«
Er trat zu ihr, berührte sie aber nicht. »Nichts hätte mich aufhalten können«, erklärte er ruhig, »selbst wenn ich hätte desertieren müssen.« Nefissa sah, wie er seine Mütze nervös in den Händen drehte, und sie liebte ihn um so mehr.
»Offen gesagt, ich hätte nicht gedacht, daß ich einmal mit dir zusammensein würde«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Du bist so … behütet … du bist wie eine dieser …«, er deutete auf die Bilder an der Wand, »eine verschleierte Frau, die hinter Holzgittern eine Gefangene ist.«
»Meine Mutter beschützt mich. Sie glaubt, die alten Sitten seien besser als die neuen.«
»Was geschieht, wenn sie erfährt, was zwischen uns ist …?«
»Ich darf nicht daran denken. Ich hatte eine Schwester. Sie hat irgend etwas getan. Was, das weiß ich nicht. Ich war damals erst vierzehn und habe nicht richtig verstanden, was geschah. Ich hörte nur, wie mein Vater sie anschrie. Er hat sie aus dem Haus gejagt – einfach so, ohne alles. Und wir durften nie wieder ihren Namen erwähnen. Selbst heute noch spricht niemand von Fatima.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Fürchtest du dich?«
»Ja.«
»Hab keine Angst.« Er streckte die Hand aus, und sie spürte seine Fingerspitzen wie einen Windhauch auf ihrem Arm.
»Ich reise morgen ab«, sagte er, »meine Einheit wird nach England verlegt.«
Nefissa kannte nur die dunklen, herausfordernden Augen arabischer Männer, die bewußt oder unbewußt vor sinnlichen Verheißungen brannten und vor männlichem Verlangen. Aber der Engländer hatte klare blaue Augen. Sie waren so rein wie das Meer im Sommer und besaßen eine Unschuld und Verletzlichkeit, die sie sehr viel erregender fand.
»Dann bleibt uns nur
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