Das Paradies
das, was meine Mutter mir gab. Und als ich erwachsen wurde, war er mit allem, was ich tat, unzufrieden. Das ist auch einer der Gründe, dafür …«, er fuhr ihr sanft mit dem Zeigefinger über die Wange und sagte mit leuchtenden Augen, »… daß ich mir einen Sohn wünsche. Wenn ich meinem Vater einen Enkel vorweisen kann, dann wird das meine erste Leistung sein, auf die ich wirklich stolz sein kann. Ein Sohn wird mir endlich die Liebe meines Vaters einbringen.«
Alice küßte ihn sanft. Als sie schließlich der kalte Wind zum Hineingehen zwang, bemerkten sie nichts von der Aufregung am anderen Ufer – die Fischer liefen laut rufend zusammen, weil sie am Wasser etwas gefunden hatten.
»Warum wollen die Engländer den Arabern Palästina wegnehmen und es den Juden geben?« fragte Fouad, ein verwöhnter junger Mann, der genußvoll Haschisch rauchte. »Die Araber haben dieses Land den Juden nicht weggenommen, sondern im vierzehnten Jahrhundert den Italienern. Könnt ihr mir sagen, welches europäische Land auf ein Gebiet verzichten würde, das ihm seit dem vierzehnten Jahrhundert gehört? Da könnten doch auch die Indianer Manhattan zurückfordern. Ich frage euch: Würden die Amerikaner es ihnen zurückgeben?«
Die drei Freunde befanden sich auf Hassan al-Sabirs Hausboot, das auf dem Nil nicht weit vom Ägyptischen Museum ankerte. Sie saßen bequem auf breiten, weichen Sofas und lehnten an seidenen Kissen, rauchten zusammen eine Wasserpfeife und nahmen sich, wenn ihnen danach zumute war, von einer großen Messingplatte Weintrauben, Oliven, Käse, Brot und in Öl eingelegte Artischocken. Der vierte in ihrer Runde stand an Deck.
»Nun ja, ich glaube, es geht nicht nur darum, wer zuerst da war«, erwiderte Hassan gelangweilt, »aber warum sollen wir uns darüber den Kopf zerbrechen? Wir haben damit nichts zu tun.«
Fouad ließ sich nicht von diesem Thema abbringen. »Wir haben die Juden während des Kriegs nicht verfolgt. Für uns sind die Juden Brüder, denn sie stammen wie wir alle vom Propheten Abraham ab. Wir leben seit vielen Jahrhunderten friedlich zusammen. Glaubt mir, das neue Israel soll keine Heimat für verfolgte Juden sein, sondern liefert den Europäern nur einen Vorwand, wieder einmal den Nahen Osten zu besetzen!«
Hassan stöhnte. »Mein Lieber, du wirst gefährlich politisch in deinen Äußerungen …«
»Ich will euch sagen, was geschehen wird«, fuhr Fouad unbeirrt fort, »sie werden nicht als Semiten kommen und als Brüder unter Semiten leben, sondern als Europäer, die auf uns jämmerliche Araber herabblikken. Das kennen wir doch! Wir dürfen nicht in den Turf Club oder den Sporting Club, weil sie Gyppos nicht als Mitglieder zulassen! Wir müssen dafür sorgen, daß Ägypten wieder den Ägyptern gehört. Oder es wird uns allen so wie den Palästinensern ergehen.«
Walid, ein blasierter junger Mann mit langen, schmalen Fingern, sagte: »Die Engländer werden Ägypten nie verlassen oder erst dann, wenn sie unsere Baumwolle und den Suezkanal nicht mehr brauchen.« Er lachte zynisch. »Und beides werden sie in alle Ewigkeit brauchen …«
»Bei Gott«, sagte Hassan gereizt, »warum beschäftigt ihr euch mit solchen Dingen?«
»Weil Ägypten die höchste Sterblichkeitsrate der Welt hat«, antwortete Walid trocken, »von zwei Kindern stirbt eins bereits im Alter von fünf Jahren. Wir haben mehr Blinde als jedes andere Land. Und was haben die Briten, unsere sogenannte Schutzmacht, dagegen unternommen? In den achtzig Jahren, die sie unser Land besetzt halten, haben sie keinen Versuch unternommen, unsere Dörfer mit sauberem Wasser zu versorgen, Schulen zu bauen oder für die Armen eine medizinische Versorgung zu schaffen. Vielleicht haben sie nicht bewußt etwas dazu getan, daß es mit unserem Volk auch kulturell bergab geht, aber sie haben bis auf den heutigen Tag eine kriminelle Gleichgültigkeit an den Tag gelegt. Und ich finde, das ist genauso schlimm!«
Hassan stand auf und ging zu Ibrahim an Deck. Er hatte zwar noch eine Wohnung in der Stadt, wo seine Frau, seine Mutter, eine unverheiratete Schwester und seine drei Kinder lebten, aber Hassan verbrachte die meiste Zeit auf dem Hausboot. Hier empfing er Freunde und hier verführte er seine jeweils letzten Eroberungen. Jetzt wünschte Hassan, er hätte zwei Prostituierte eingeladen und nicht die beiden Juniorpartner seiner Kanzlei. »Tut mir leid, mein Freund«, sagte er zu Ibrahim und zündete sich eine Dunhill an, »ich werde die
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