Das Paradies
schenkt den Menschen Söhne. Die Zukunft ist schon vor langer Zeit niedergeschrieben worden. Suche Zuflucht bei SEINER Barmherzigkeit und SEINEM unendlichen Verstehen.«
Ihre Worte bekümmerten ihn. Er hob die Hände und ließ sie resigniert wieder sinken. »Vielleicht werde ich keinen Sohn bekommen. Vielleicht habe ich das Unheil selbst beschworen.«
»Was willst du damit sagen?«
Ibrahim spürte die dunklen, wachsamen Augen der Quettah auf sich ruhen. Die alte Frau war schon oft im Haus der Raschids gewesen. Auch bei seiner Geburt hatte sie das Sternzeichen ermittelt, unter dem er geboren worden war. Aber Ibrahim fühlte sich in ihrer Gegenwart nie wohl. Sie brachte ihn mit ihrem durchdringenden Blick aus dem Gleichgewicht. »Es geschah in der Nacht, als Jasmina geboren wurde und ihre Mutter starb. Ich war außer mir vor Schmerz und wußte nicht, was ich tat. In meiner Trauer habe ich Gott verflucht.« Er konnte seiner Mutter nicht in die Augen blicken. »Liegt deshalb jetzt auf mir ein Fluch? Werde ich nie einen Sohn bekommen?«
»Du hast Gott verflucht?« fragte Khadija und erinnerte sich plötzlich an den Traum in der Nacht vor Ibrahims Rückkehr aus Monte Carlo – sie sah Dschinns und Dämonen in einem dunklen und staubigen Schlafzimmer. War das ein Omen für die Zukunft gewesen? Wartete auf sie eine Zukunft, in der den Raschids keine Söhne mehr geboren werden würden und die Familie ausstarb?
Sie mußte sich auf der Stelle Gewißheit verschaffen.
Khadija sprach leise mit Quettah. Nach den Anweisungen der Astrologin kochte sie starken, gesüßten Kaffee, den Ibrahim trinken mußte. Danach stellte die Quettah die Tasse umgekehrt auf die Untertasse und wartete, bis der Kaffeesatz auf den Teller geflossen war, wo er ein Muster bildete. Sie schloß die Augen und blickte in Ibrahims Zukunft.
Sie sah nur Töchter. In der Zukunft warteten auf Ibrahim nur Töchter.
Aber sie sah im Kaffeesatz noch eine Botschaft. »Sajjid«, erklärte sie ehrfurchtsvoll. Ihre junge Stimme überraschte Ibrahim, denn er glaubte, sie müsse bald neunzig Jahre alt sein. »In deinem Leid hast du Gott verflucht, aber Gott ist gnädig und straft diejenigen nicht, die leiden. Trotzdem liegt ein Fluch auf diesem Haus, Sajjid. Ich kann dir nicht sagen, was die Ursache dafür ist.«
Ibrahim schluckte mit trockener Kehle. Mein Vater, dachte er, mein Vater hat mich verflucht. »Was bedeutet das?«
»Die Sippe der Raschids wird von der Erde verschwinden.«
»Durch meine Schuld? Wird das mit Sicherheit geschehen?«
»Es ist nur eine mögliche Zukunft, Sajjid. Aber Gott ist gnädig und zeigt uns einen Weg, um den Segen deiner Familie zurückzubringen. Du mußt auf die Straße hinausgehen und eine Tat vollbringen, die ein großes Opfer ist und dein Mitgefühl bezeugt. Gott liebt alle, die Mitleid haben, mein Sohn, und durch deine Barmherzigkeit wird ER den Fluch von dir nehmen, denn ER ist barmherzig und gnädig. Geh, geh sofort.«
Ibrahim blickte fragend seine Mutter an, die stumm nickte, und eilte aus dem Haus. Ihn trieb der Zorn seines Vaters, die Erinnerung an einen Mann, der seinen Sohn einen »elenden Hund« genannt hatte, weil er glaubte, auf diese Weise seinen Charakter zu stärken. Ibrahim stieg mit Tränen in den Augen in seinen Wagen. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte oder was für eine Tat von ihm erwartet wurde. Er dachte nur an den bezaubernden kleinen Engel, er dachte an Amira in der Wiege. Er wollte seine Tochter lieben, aber es war ihm verwehrt, weil sein Vater ihn mißachtete. Ali sah geringschätzig auf seine beiden Töchter und auf alle Töchter, die er noch bekommen würde, denn kein Sohn sollte den Namen der Raschids tragen, damit sich das Gottesurteil erfüllte und die Familie ausstarb.
Als er den Wagen aus der Auffahrt fuhr und die Straße erreichte, trat er auf die Bremse und legte verzweifelt den Kopf auf das Steuer. »Was soll ich nur tun?«
Er hob den Kopf und starrte auf die Fellachin mit einem Säugling im Arm. Er hatte das Mädchen schon öfter hier vor dem Tor gesehen. Sie sah ihn an, als würde sie ihn kennen. Er hatte nie mit ihr gesprochen, sie auch nicht richtig angesehen, aber als sie jetzt im Mondlicht vor ihm stand, erinnerte er sich plötzlich an den Morgen vor etwa einem Jahr. Diese Frau sah dem Mädchen mit dem Wasserkrug ähnlich. Hatte sie ihm zu trinken gegeben, als er zu verdursten glaubte? »Wie heißt du?«
Sie blickte ihn mit übergroßen Augen an. Ihre Stimme klang leise und
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