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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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großzügiges Trinkgeld geben willst und an einem Tag wie heute kaum etwas zu verdienen ist! Und deshalb bin ich vermutlich genauso verrückt wie du …«
    Aber der Fahrer zuckte nur mit den Schultern und schwieg. Der Engländer wußte offenbar sehr wenig, er kannte nicht einmal die Grundregeln des Anstands. Er wußte nicht, daß ein Mann den Taxifahrer beleidigte, wenn er sich nicht auf den Beifahrersitz setzte, sondern auf den Rücksitz. Der Fahrgast bezahlte nicht nur die Fahrt, sondern war Gast im Taxi. Zweifellos war das hier ein ausnehmend dummer Engländer.
    Aber Edward Westfall, der sechsundzwanzigjährige Sohn des Earl von Pemberton, machte sich nur wenig Gedanken. Was kümmerte es ihn, daß an diesem kühlen Samstagmorgen die Straßen von Kairo so seltsam ausgestorben waren? Warum sollte ihn die Schweigsamkeit des Taxifahrers beunruhigen? Er freute sich so maßlos über den »Studentenstreich«, wie sein Vater die Reise bezeichnet hatte, daß ihm nichts, absolut nichts die gute Laune verderben konnte.
    »Ich will meine Schwester besuchen«, sagte er dem Fahrer, als sie auf einer breiten Allee durch das elegante Ezbekija-Viertel fuhren. Weder Edward noch der Taxifahrer ahnten, daß sich in diesem Augenblick junge Männer mit Äxten, Stangen und Stöcken zu einem heiligen Krieg versammelten. »Mein Besuch soll eine Überraschung sein«, erzählte Edward und beugte sich vor, als könnte er dadurch den Fahrer veranlassen, etwas schneller zu fahren. »Sie ahnt nicht, daß ich komme. Wissen Sie, meine Schwester ist mit dem Leibarzt von König Farouk verheiratet.« Er lächelte und fügte dann stolz hinzu: »Bestimmt werden wir heute abend im Palast speisen.«
    Der Fahrer blickte ihn kurz an und wollte sagen: »Du Idiot, darauf brauchst du nicht stolz sein! Engländer und ein Freund des Königs, das spricht alles noch mehr gegen dich. Kehr um und fahr nach Hause zurück, solange du noch am Leben bist.« Aber er sagte nur: »Ja, Sajjid«, und versuchte sich auszurechnen, wie hoch das Trinkgeld sein werde.
    »Ich kann es kaum erwarten, ihr verblüfftes Gesicht zu sehen!« Edward strahlte bei dem Gedanken an das fröhliche Wiedersehen. Sie hatten sich schon sehr lange nicht mehr gesehen. Alice hatte England sofort nach Kriegsende verlassen und Freunde an der französischen Riviera besucht. Danach war sie mit ihrem Mann Dr. Raschid vor sechseinhalb Jahren einmal ganz kurz zu Hause gewesen, aber bei dem Besuch war es zu dem schrecklichen Zerwürfnis zwischen ihr und dem Earl gekommen, und jetzt schrieb man bereits das Jahr 1952 !
    »Wissen Sie, ich bin zum ersten Mal in Ägypten«, sagte Edward und glaubte, in der Ferne eine Art Explosion zu hören. »Ich werde Alice einladen, mit mir auf einer Yacht den Nil hinunter bis nach Unterägypten zu segeln. Ich möchte mit ihr die Pyramiden sehen. Ich glaube, sie ist in all den Jahren ihrer Ehe noch nicht dort gewesen.«
    Der Fahrer dachte verächtlich: Nicht einmal das weißt du! Du segelst den Nil
hinauf
nach Oberägypten, wenn du in den Süden willst. Unterägypten liegt im Norden, und der Nil fließt von Süden nach Norden. Aber er schwieg, denn auch er hörte eine gedämpfte Explosion in der Nähe, möglicherweise aber auch weiter weg. Roch es nicht nach Rauch? Die menschenleere Straße wirkte friedlich.
    »He!« rief Edward und starrte durch die Windschutzscheibe. »Was ist da los?« Aus einer Seitenstraße tauchte eine aufgebrachte Menschenmenge mit Knüppeln und Fackeln auf.
    »Ja Allah!« rief der Fahrer und trat auf die Bremse. Er sah die zornigen Gesichter und die geballten Fäuste und bog mit Vollgas in eine andere Seitenstraße.
    »Du meine Güte …«, murmelte Edward, als er heftig gegen die Rückenlehne fiel, »ist das eine Prozession?«
    Als sie das Ende der Straße erreichten, sahen sie ein brennendes Gebäude. Rauchwolken quollen aus den Fenstern, und auf den Gehwegen drängten sich viele Menschen. Seltsamerweise war keine Feuerwehr zu sehen, und keiner der Schaulustigen versuchte, das Feuer zu löschen. Edward runzelte die Stirn, als er sah, wie sich ein Firmenschild von der Fassade löste und auf die Straße fiel.
Smythe & Son, English Haberdashers, est. 1917
 – er konnte die Schrift gerade noch erkennen, ehe die Tafel unter Asche und Schutt verschwand.
    Der Taxifahrer legte den Rückwärtsgang ein, fuhr die Seitenstraße zurück bis zur nächsten Kreuzung und raste eine Allee entlang. Edward wurde unsanft auf dem Rücksitz hin und her geworfen.

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