Das Paradies
revolutionären Offiziere hatten recht: Die Zeit war gekommen, Ägypten mußte einen wahren Führer haben.
Ibrahim beschäftigten noch seltsamere und verwirrendere Gedanken. War das wirklich das Ende der Monarchie? Wer würde an Farouks Stelle treten? Er fragte sich auch: Gab es in Zukunft überhaupt noch einen Platz für den königlichen Leibarzt? Ibrahim starrte auf einen schweren Türvorhang aus schwarzem Samt und dachte: So sieht meine Zukunft aus.
Schließlich brachte man die Abdankungsurkunde in den riesigen, sonnigen Marmorsaal, der mit seinen hohen Säulen und kunstvollen ausladenden Friesen an einen alten römischen Palast erinnerte. Farouk starrte mit unbewegtem Gesicht auf das Dokument, das nur aus zwei Sätzen bestand: »Wir, Farouk der Erste, obwohl wir immer nur das Glück und das Wohlergehen unseres Volkes wollten …« Mit Tränen in den Augen nahm der König seinen goldenen Füllfederhalter, und während Ibrahim zusah, wie Farouk die Abdankungsurkunde unterschrieb, fiel ihm auf, daß die Hand des Monarchen so zitterte, daß die Unterschrift unleserlich war. Und als er zum zweiten Mal in arabischer Schrift unterzeichnete, schrieb Farouk seinen Namen falsch, denn er hatte nie gelernt, die Sprache seines Landes zu schreiben.
Ibrahim half dem König für die letzte Fahrt noch einmal im Bad und beim Anlegen der weißen Admiralsuniform seiner Flotte. Dann setzte sich Farouk zum letzten Mal auf den edelsteingeschmückten Thron des Ras-el-Tin-Palastes und verabschiedete sich von seinen besten Freunden und Ratgebern. Zu Ibrahim sagte er auf französisch: »Sie werden mir fehlen, mon ami. Wenn Ihnen oder Ihrer Familie aufgrund Ihrer Verbindung mit mir etwas zustößt, dann bitte ich Gott um Vergebung. Sie haben mir gut gedient, mein Freund.« Ibrahim begleitete ihn die große Marmortreppe hinunter und hinaus in den Palasthof. Die königliche Musikkapelle spielte die ägyptische Nationalhymne. Man holte Ägyptens grüne Fahne mit dem Halbmond ein, legte sie zusammen und überreichte sie dem König als Abschiedsgeschenk.
Aber Ibrahim blieb unten an der Gangway stehen, als Farouk an Deck der
Mahroussa
ging. Von nun an würde er nicht mehr in der Nähe des Königs sein. Ibrahim fühlte sich seltsam abgeschnitten und irgendwie nackt.
Farouks Abschied wirkte ruhig und würdevoll, als er mit seinen drei Schwestern, der siebzehnjährigen Königin und seinem sechs Monate alten Sohn an Deck stand. Die Taue wurden gelöst; als sich die Yacht in Bewegung setzte, feuerte eine Fregatte, die in der Nähe ankerte, ein- undzwanzig Schuß Salut.
Ibrahim blickte der sich langsam entfernenden
Mahroussa
nach und hatte nur gute Erinnerungen. Er dachte daran, wie er Jasmina, Amira, Tahia und Zacharias in den Palast gebracht hatte, um die Kinder dem König vorzustellen. Farouk hatte ihnen Bonbons geschenkt und sein Lieblingslied
The Eyes of Texas Are Upon You
gesungen. Ibrahim erinnerte sich auch an Farouks Hochzeitstag, als Millionen Bauern zu diesem Ereignis nach Kairo gekommen waren. Damals herrschte eine solche Begeisterung für den König, daß Kairos Taschendiebe in Zeitungsanzeigen versprachen, zu Ehren des königlichen Brautpaares einen Tag lang die Passanten nicht zu bestehlen. Ibrahim dachte auch an einen Abend, der noch weiter zurücklag. Man schrieb das Jahr 1936 . Die Raschids verbrachten zum ersten Mal die Sommermonate in Alexandria, und Ibrahim sah den neuen Thronfolger. Farouk war damals ein schlanker, gutaussehender junger Mann. Er stand an Deck seines Schiffes, das inmitten zahlloser Boote und Feluken, auf denen Kerzen brannten, in den Hafen einfuhr. Am Tag der Thronbesteigung geriet ganz Ägypten in Jubel über Farouk, dessen Name auf arabisch bedeutet »er, der richtig von falsch unterscheidet«, außer Rand und Band.
Als die
Mahroussa
langsam den Hafen verließ, erinnerte sich Ibrahim auch an den Tag, als ihn Ali Raschid, sein Vater, dem jungen König vorgestellt hatte. Farouk schenkte ihm sofort sein Vertrauen und ernannte Ibrahim zum königlichen Leibarzt.
Ibrahim erfaßte eine tiefe Trauer. Tränen traten ihm in die Augen, denn ihm wurde bewußt, daß mit der
Mahroussa
nicht nur Ägyptens abgedankter Monarch verschwand. Das Schiff nahm seine Erinnerungen mit, seine Vergangenheit und seine Daseinsberechtigung. Und Ibrahim mußte wieder an den schweren schwarzen Samtvorhang denken, an seine Zukunft.
Zweiter Teil ( 1952 )
7 . Kapitel
Alice stand vor der Gartenmauer und goß ihre Alpenveilchen.
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