Das Paradies
sich, seinen Freund zu sehen, denn Hassan al-Sabir war für ihn wie ein Bruder. Als er im schwarzen Frack und mit dem Fez schief auf dem Kopf eintrat, begrüßten ihn die Kinder ausgelassen, allen voran Tahia, die er umarmte. Jasmina flog buchstäblich in seine Arme und rief glücklich: »Onkel Hassan!« Ihre honigbraunen Augen leuchteten, denn sie liebte ihn abgöttisch. Aber sofort war Amira bei ihm, und er ließ Jasmina wieder los. Er hob die Sechsjährige hoch, strich ihr über die blonden Haare und sagte: »Wie geht es meiner kleinen Aprikose?«, worüber alle lachten.
Dann begrüßte er die Frauen – zuerst Zou Zou. »Wer ist diese Dame, die so schön ist, daß sie den Mond beschämt?« rief er auf arabisch, denn er wußte, Khadija wollte, daß in ihrem Haus arabisch gesprochen wurde.
»Wie bei allen Schmeichlern ist nur deine Zunge hier und dein Herz woanders.« Aber Zou Zous Augen leuchteten trotzdem.
»Ehre der Unveränderlichen. Ich sage die Wahrheit und begrüße die Anwesenden auf das herzlichste!«
Khadija sah, wie Hassan mit seinem Charme die Aufmerksamkeit aller auf sich zog. Das gelang ihm irgendwie immer. Als ihr Blick auf Edward fiel, staunte sie, mit welch glühendem Blick er Hassan anstarrte. Es sah aus, als wäre er bereit, ihn auf der Stelle zu erwürgen.
Nefissa entging die spürbare Zurückhaltung nicht, mit der ihre Mutter Hassan musterte. Nefissa wußte seit langem, daß Khadija den Freund ihres Sohnes insgeheim ablehnte. Aber wie konnte das sein, wo doch alle seinem Charme erlagen?
Trotz der Deckenventilatoren und der offenen Fenster war es sehr heiß. Ibrahim befahl einem Diener, Hassan Zigaretten und Kaffee zu bringen, und trat mit seinem Freund auf die Terrasse hinaus, denn der frische Wind vom Nil brachte etwas Kühlung.
»Was gibt es Neues?« fragte Ibrahim leise, als der Diener Hassan die Zigarette anzündete und sie dann diskret allein ließ. »Wie ich höre, will die neue Regierung Land beschlagnahmen. Meine Freunde an der Baumwollbörse sagen, alle reichen Grundbesitzer müssen ihre Ländereien abgeben. Man wird die großen Besitztümer aufteilen und das Land den Bauern geben. Glaubst, daß daran etwas Wahres ist?«
Hassans Reichtum stammte nicht von Grundbesitz, sondern aus seinem Erbe. Er mußte sich deshalb keine Sorgen machen. »Das sind nur Gerüchte, mein Freund.«
»Vermutlich … aber die vielen Verhaftungen, über die man auch nur gerüchteweise hört. Man sagt, sie haben Farouks Barbier zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Beunruhigt dich das nicht? Schließlich hast du auch zu Farouks Gefolge gehört.«
Hassan zuckte mit den Schultern. »Sein Barbier war ein Intrigant und hat so einiges auf dem Kerbholz. Ich war nur Farouks Freund, und du bist sein Arzt gewesen. Wir sind wohl kaum Verbrecher. Die Schuldigen werden bekommen, was sie verdienen, und die Unschuldigen läßt man laufen. Und du und ich, Ibrahim, wir sind ganz bestimmt schuldlos.«
Ibrahim lächelte. »Aber an deiner Stelle würde ich keinen Fez mehr tragen. Nur noch Dummköpfe laufen herum und prahlen mit ihrem Reichtum.« Bei diesen Worten fand Ibrahim, es sei wohl klüger, den russischen Zobelmantel nicht zu kaufen, mit dem er Alice an ihrem Geburtstag überraschen wollte. Vielleicht war im Augenblick etwas mehr Bescheidenheit angebracht.
»Ach«, sagte Hassan und schnippte die Zigarettenasche über die Terrassenbrüstung, »vor den sogenannten Freien Offizieren habe ich keine Angst. Ich kenne diese Art Leute – es sind alles Bauern. Der Vater von Nasser, ihrem Anführer, ist ein Briefträger, und sein Stellvertreter Sadat ist ein Fellache. Er stammt aus einem Dorf, das so arm ist, daß selbst die Fliegen dort nicht bleiben. Außerdem ist er schwarz wie die Nacht«, fügte Hassan abfällig hinzu. »Glaub mir, sie werden sich nicht lange halten. Der König kommt zurück. Du wirst es erleben.«
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte Ibrahim.
Hassan zuckte die Schultern. Ihm war es gleich. Aus welcher Richtung der Wind auch blies, er würde sich davon treiben lassen. Außerdem profitierte er von der Revolution, denn als Anwalt hatte er viele Beziehungen zu den Gerichten. Noch nie hatte er so viele Fälle bekommen, und niemand beklagte sich über seine zu hohen Rechnungen. Solange diese lächerliche Revolution dauerte, würde Hassan al-Sabir Gewinn daraus schlagen. »Verzeih mir, mein Freund, wenn ich das sage, aber der Abend hier ist langweilig. Wollen wir nicht lieber in die Mohammed
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