Das Paradies
Ali-Straße gehen?« fragte er und meinte damit ein Vergnügungsviertel in der Altstadt mit Tänzerinnen, Musikanten und leichten Mädchen. »Ich kenne eine gewisse junge Dame, die im Bett eine wahre Künstlerin ist. Ich würde sie dir heute überlassen, alter Junge.«
Ibrahim lachte, aber nur, um seine Verzweiflung zu verbergen. Seit den Januarunruhen hatten er und Alice nicht mehr miteinander geschlafen. Aber das würde er selbst seinem besten Freund nicht gestehen. »Ich bin mit meiner Frau vollauf zufrieden«, erwiderte er und blickte durch die offene Tür in den hell erleuchteten Salon, wo Alice in ein Gespräch mit Nefissa vertieft war.
»Na gut.« Hassan glaubte ihm nicht. Kein Mann starrte seine Frau nach siebenjähriger Ehe wie ein liebestoller Jüngling voll Sehnsucht und Verlangen an. »Wie kann Alice dir genügen? Wir sind doch heißblütige Männer! Warum nimmst du dir nicht wie ich eine zweite Frau? Sogar der Prophet – Gott segne ihn und schenke ihm den ewigen Frieden – hatte Verständnis für die Bedürfnisse der Männer.«
»Aber der Prophet hat auch erklärt, eine zweite, dritte und vierte Frau müssen gleich behandelt werden. Welcher Mann kann mehrere Frauen gleich behandeln?«
Ehe Hassan antworten konnte, hörten sie eine helle Mädchenstimme: »Papa!«
Ibrahim hob Amira hoch und setzte sie auf das schmiedeeiserne Gitter. »Tante Nefissa hat uns ein Rätsel aufgegeben«, sagte sie, »kannst du es raten?«
Hassan sah, wie Ibrahim sich auf der Stelle von seiner Tochter umgarnen ließ. Er schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit und strahlte sie an. Hassan erlebte immer wieder, daß Ibrahim von seiner Tochter erzählte, ihre Fortschritte bewunderte und so stolz auf sie war wie die meisten Männer auf ihre Söhne. Zu seiner Überraschung mußte Hassan sich eingestehen, daß er seinen Freund beneidete. Er hatte keine so enge Beziehung zu seinen Töchtern, die in einem Mädchenpensionat in Europa waren. Er erhielt von ihnen nur Postkarten und Briefe. Amira mit ihren blonden Haaren und blauen Augen würde eines Tages bestimmt eine Schönheit sein wie ihre Mutter. In zehn Jahren war sie eine verführerische Sechzehnjährige, für die man einen Mann suchen würde.
Als er die Hausglocke hörte, fragte sich Hassan, wer wohl an diesem Abend die Raschids noch besuchen wollte. Einer der Dienstboten erschien aufgeregt und eilte zu Khadija. Er flüsterte ihr etwas zu. Sie wurde blaß. Dann nickte sie und bedeutete Hassan und Ibrahim, in den Salon zu kommen. Der Diener lief hinaus und kehrte kurz darauf mit vier Männern in Uniform und mit Gewehren zurück.
Im Raum wurde es totenstill.
Sie waren gekommen, um Ibrahim Raschid wegen Verbrechen gegen das ägyptische Volk zu verhaften.
»Das ist absurd!« protestierte Ibrahim. »Wißt ihr nicht, wer ich bin? Wißt ihr nicht, wer mein Vater war?«
Sie entschuldigten sich, forderten Ibrahim aber trotzdem auf, ihnen zu folgen.
»Einen Moment …« Hassan wollte ihnen den Weg versperren, aber Ibrahim sagte: »Da muß ein Irrtum vorliegen, und ich glaube, es gibt für mich nur einen Weg, ihn aufzuklären.« Alice, die an seine Seite geeilt war, beruhigte er mit den Worten: »Du mußt dir keine Sorgen machen.«
»Ich werde auf dich warten«, erwiderte sie angstvoll.
Er küßte seine Mutter. »Ich werde nicht lange weg sein.«
Stumm sahen alle zu, wie die Soldaten mit Ibrahim den Raum verließen. Nefissa legte ihrer Mutter die Hand auf den Arm und flüsterte: »Du mußt keine Angst haben, Umma, Gott schützt die, die an IHN glauben.«
Doch Khadija dachte zitternd: Wird Gott auch den schützen, der IHN verflucht hat?
8 . Kapitel
Zu seiner Überraschung sah Ibrahim, wie Sarah, das Küchenmädchen, mit ihrem Sohn Zacharias an der Hand in den Männerflügel des Hauses trat. Sie war barfuß und trug das einfache Gewand einer Frau aus einem Dorf. Zum ersten Mal bemerkte er, wie hübsch sie war, kein Mädchen mehr, sondern eine begehrenswerte Frau.
»Was willst du hier?« fragte er.
Sie öffnete den Mund, aber zu seinem noch größeren Staunen hörte er die Stimme Gottes: »Du hast versucht, MICH zu überlisten, Ibrahim Raschid, und du hast MICH verflucht. Das ist nicht dein Sohn. Ein anderer ist der Vater. Du hattest nicht das Recht, dir diesen Jungen zu nehmen. Du hast MEIN heiliges Gesetz gebrochen.«
Als Ibrahim rief: »Ich verstehe nicht, warum …«, erwachte er vom Klang seiner Stimme. Zuerst spürte er einen stechenden Schmerz am Hinterkopf, dann
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