Das Paradies
roch er den Gestank.
Beim Versuch, sich aufzusetzen, wurde ihm übel. Er nahm nur verschwommen Schatten und Gestalten wahr. Er konnte nicht richtig sehen und stöhnte: »Wo bin ich?« Seine Gedanken überschlugen sich, aber es gelang ihm nicht, klar zu denken. Es dauerte eine Weile, bis er feststellte, daß er auf nacktem Stein saß. Es war unerträglich heiß, und seltsame Geräusche umgaben ihn. Als er tief Luft holte, würgte es ihn wieder. Ein entsetzlicher Gestank verpestete die Luft – Schweiß, Urin, Kot und die erdrückende, alles noch verstärkende Hitze.
Wo bin ich, dachte er wieder.
Langsam erinnerte er sich. Soldaten hatten ihn zu Hause verhaftet und in das Generalhauptquartier gebracht. Ibrahim beteuerte immer wieder seine Unschuld. Einer der Männer brachte ihn schließlich brutal mit einem Schlag des Gewehrkolbens auf den Hinterkopf zum Schweigen. Ibrahim rechnete damit, daß man ihn zu den Freien Offizieren bringen würde. Statt dessen schoben sie ihn in ein armseliges Büro, wo ihm ein kurz angebundener Wachtmeister nur zwei Fragen stellte: »Welche subversiven Aktivitäten fanden am Hof statt?« Und: »Nennen Sie die Namen der Leute, die daran beteiligt waren.«
Ibrahim hatte versucht, sich zu verteidigen, und beharrte darauf, daß es sich bei seiner Festnahme um einen Irrtum handeln müsse. Schließlich hatte er die Geduld verloren und verlangt, einen der Verantwortlichen zu sprechen. Daraufhin schlug ihm wieder jemand auf den Kopf, und er verlor das Bewußtsein.
Ibrahim betastete vorsichtig seinen Hinterkopf und spürte eine große, weiche Beule. Das Schwindelgefühl ließ etwas nach, und er konnte wieder sehen. »Oh, mein Gott«, murmelte er fassungslos.
Er saß in einer Gefängniszelle mit hohen Wänden und einem schmutzigen Steinboden. Er war nicht allein. In der Zelle waren mehr Gefangene als ursprünglich vorgesehen. Die meisten trugen zerlumpte Galabijas. Einige liefen hin und her und führten Selbstgespräche, andere saßen stumm an den Wänden. Es gab keine Stühle, keine Bänke, keine Pritschen, nur altes Stroh. Er sah auch keine Toiletten, sondern nur von Exkremeten überlaufende Eimer. Die Zelle glich einem Backofen.
Träume ich noch immer? Wenn ja, dann ist das ein Platz in der Hölle.
Ibrahim blickte an sich hinunter und stellte fest, daß er noch immer seinen dunkelblauen Anzug trug. Die Krokodillederschuhe, die goldene Uhr, zwei Diamantringe und die Perlmuttmanschettenknöpfe hatte man ihm allerdings abgenommen. Auch die Taschen waren leer. Sie hatten ihm nicht einmal ein Taschentuch gelassen.
In der Wand gegenüber entdeckte er ein Fenster. Er stand schwerfällig auf und ging schwankend durch den Raum. Aber das Fenster war zu hoch, um hinauszusehen. Die heißen Strahlen der Augustsonne fielen in die Zelle, aber Ibrahim hatte keine Ahnung, wo das Gefängnis sein mochte. Hatte man ihn zur Zitadelle am Stadtrand gebracht? Oder befand er sich womöglich nicht mehr in Kairo, sondern irgendwo in der Wüste? Die Paradies-Straße konnte weit weg sein.
Langsam wurde sein Kopf klarer, und er stand wieder sicherer auf den Beinen. Er ging durch den Raum und wich dabei seinen Zellengenossen, die ihn nicht weiter zu beachten schienen, so gut wie möglich aus. Schließlich stand er vor der vergitterten Tür, hinter der sich ein dunkler Gang befand. »Hallo! Hallo!« rief er auf englisch. »Ist da jemand?«
Er hörte das Klirren von Schlüsseln, und dann erschien ein junger Mann in einem verschwitzten Uniformhemd. An seinem Gürtel hingen ein Schlüsselbund und ein Dienstrevolver. Er starrte Ibrahim ausdruckslos an.
»Hör zu«, sagte Ibrahim, »da ist ein schrecklicher Irrtum geschehen. Man hat mich fälschlicherweise verhaftet. Du mußt mich sofort hier herauslassen.«
Der junge Mann starrte ihn nur an.
»Hast du nicht gehört, was ich sage? Bist du taub?«
Jemand klopfte ihm auf die Schulter, und Ibrahim zuckte zusammen. Ein dicker bärtiger Mann in einer schmutzigen blauen Galabija grinste ihn an und sagte auf arabisch: »Sie sprechen hier kein Englisch. Und selbst wenn sie Englisch können, dann sprechen sie es nicht. Seit der Revolution gibt es für sie kein Englisch mehr. Das ist die erste Lektion, die du lernen mußt.«
»Ach so, natürlich«, murmelte Ibrahim, »danke.« Dann sagte auf arabisch: »Da ist ein Irrtum geschehen. Meine Verhaftung war ein Irrtum. Ich bin Dr. Ibrahim Raschid, und du siehst doch, daß ich nicht hierher gehöre.«
Der Wärter blickte ihn
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