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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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draußen«, fuhr Mahzouz fort und las aus seinem Bart die darin hängenden Bohnen. »Das war, wenn ich mich recht erinnere, vor drei Monaten. Inzwischen weiß ich nicht mehr, welchen Tag wir haben.«
    »Warum hat man dich verhaftet?«
    »Wie dich … ohne jeden Grund. Ich möchte dir einen Rat geben, mein Freund«, sagte Mahzouz und betrachtete neidisch Ibrahims eleganten Anzug. »Paß auf deine Klamotten auf. Du trägst bessere Sachen als der Gefängnisdirektor. Ihm wird das nicht gefallen.«
    Ibrahim wandte sich ab. Dieser Mann war eindeutig nicht ganz bei Verstand. Das sah doch jeder, daß er, Dr. Ibrahim Raschid,
nichts
mit diesen armseligen Kerlen zu tun hatte und
nicht
in die Zelle gehörte. Keiner dieser Männer besaß Geld oder Einfluß, und niemand würde es wagen, Hand an seine Kleider zu legen. Sein Fall war ein bürokratischer Irrtum, mehr nicht. So etwas geschah bedauerlicherweise immer wieder.
    Der stechende Druck seiner Blase riß ihn aus seinen Gedanken. Nur zögernd ging er in die dunkelste Ecke. Beschämt und verlegen hielt er die Luft an, um den Gestank überhaupt ertragen zu können, und erleichterte sich. Dann suchte er sich einen Platz an der Wand. Er sah eine Stelle, wo jemand den Namen Gottes in den Stein geritzt hatte. Dort setzte er sich auf den schmutzigen Boden. Er ließ die vergitterte Tür nicht aus den Augen und lauschte auf das Schlüsselklirren, das die Rückkehr der Wärter ankündigen würde. Ibrahim tröstete sich bei dem Gedanken, daß er wieder frei sein würde, noch ehe die Sonne hinter dem hohen Fenster versank.
     
    Jemand stieß ihn gegen die Schulter, und Ibrahim erwachte. Im ersten Augenblick wußte er nicht, wo er war, aber dann erinnerte er sich. Er blickte zu dem hohen Fenster hinauf und sah, daß die Sonnenstrahlen schräg durch das Gitter fielen und sich gelb färbten. Er staunte, daß er so lange hatte schlafen können. Dann bemerkte er Mahzouz, der sich neben ihn setzte. »Du scheinst dir keine großen Sorgen zu machen, mein Freund.«
    Ibrahim wich etwas zur Seite und bewegte die steif gewordenen Schultern. »Ich mache mir keine Sorgen, denn ich weiß ganz genau, daß meine Familie alles tut, um meine Freilassung zu erreichen. Du wirst sehen, ich schlafe heute nacht wieder in meinem Bett.«
    »Wenn es in Gottes Buch so geschrieben steht«, sagte Mahzouz, und Ibrahim wußte nicht, ob er sich über ihn lustig machte.
    Ibrahim blieb, den Rücken an die Wand gelehnt, stoisch sitzen und wandte den Blick nicht von der Zellentür. Ihm fiel plötzlich auf, daß er noch keinen Gebetsruf gehört hatte. Das Gefängnis mußte demnach weit von der Stadt entfernt sein. Wollte die Gefängnisleitung, daß die Männer in den Zellen ihre Gebete vergaßen? Wie sollte hier jemand wissen, wie spät es war? Ibrahim distanzierte sich gedanklich von dem Alptraum, in dem er sich befand. Er sagte sich, er habe nichts mit diesem Dreck und den Ratten im Stroh zu tun, nichts mit dem Mann dort drüben, der sich unter seiner Galabija die Läuse von der nackten Haut las, oder einem anderen, der in einer Ecke stand und sich übergab. Als es wieder Brot und Bohnen gab, blieb Ibrahim sitzen. Er stellte fest, daß die Hitze in der Zelle am Ende des Tages nicht nachließ, und registrierte die eigenen Körpergerüche. Im Sommer pflegte er zwei- oder dreimal täglich zu baden. Er sehnte sich danach, die Zähne zu putzen, sich zu rasieren, er sehnte sich nach heißem Wasser und Seife. Als das letzte Sonnenlicht hinter dem hohen Fenster verschwand, verrichtete er die Übungen des Vierten Gebets und bat Gott um Nachsicht, weil er vor dem Gebet nicht die erforderliche rituelle Waschung durchführen konnte.
     
    Endlich war es in der Zelle dunkel, und die Männer legten sich schlafen. Ibrahim rutschte auf dem harten Steinboden hin und her; er versuchte vergeblich, eine einigermaßen bequeme Lage zu finden, aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß Hassan am nächsten Morgen bestimmt kommen und ihm die Freiheit bringen werde. Er zog die Anzugjacke aus und benutzte sie zusammengelegt als Kopfkissen. Aber als er am Morgen erwachte, stellte er fest, daß seine Jacke verschwunden war und zwei Gefangene erstaunlicherweise Kaffee tranken und Zigaretten rauchten.
    Ibrahim wußte nicht, wie spät es war. Hassan würde bestimmt bald da sein. Er strich sich nachdenklich über den Stoppelbart und sehnte sich nach dem morgendlichen heißen Bad, der erfrischenden Rasur und der anschließenden entspannenden Stunde im

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