Das Paradies
der blauen Tür und den roten Geranien auf den Stufen.
Sie läutete, und ein Dienstmädchen öffnete. Khadija nannte ihren Namen und erklärte, sie wolle Hauptmann Rageebs Frau sprechen. Das Mädchen führte sie in ein kleines Zimmer und ließ sie allein. Während Khadija wartete, betete sie, den richtigen Menschen gefunden und keinen Fehler gemacht zu haben.
Das Dienstmädchen kam kurz darauf zurück und führte Khadija in einen eleganten Salon, der ihrem Salon glich, obwohl er kleiner war. Die Dame des Hauses begrüßte sie, und bei ihrem Anblick sprach Khadija ein stummes Dankgebet. Sie ließ den Schleier sinken, und nach der förmlichen Begrüßung fragte sie: »Safeja, erinnern Sie sich an mich?«
»Oh ja, Sajjida«, erwiderte die Frau, »bitte, nehmen Sie Platz.«
Man servierte Tee und Gebäck, und Safeja Rageeb bot Khadija eine Zigarette an, die sie dankbar annahm. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Sajjida.«
»Ich freue mich auch. Wie geht es Ihrer Familie?«
Safeja deutete auf eine Reihe Photos junger Mädchen an der Wand. »Meine beiden Töchter«, sagte sie stolz, »die älteste ist jetzt einundzwanzig und verheiratet. Meine jüngste wird demnächst sieben.« Sie blickte ihrem Gast offen ins Gesicht. »Ich habe sie Khadija genannt. Sie wurde geboren, als mein Mann, der Hauptmann, im Sudan stationiert war. Aber das wissen Sie ja.«
»Sagen Sie mir bitte, erinnern Sie sich an unser Gespräch vor sieben Jahren im Garten?«
»Ich werde es nie vergessen. Ich habe an diesem Tag gesagt, daß ich für immer in Ihrer Schuld stehe. Wenn Sie eine Bitte haben, Sajjida, dann gehört mein Haus und alles, was ich besitze, Ihnen.«
»Safeja, ist Ihr Mann Hauptmann Jussuf Rageeb und gehört er dem Revolutionsrat an?«
»Ja.«
»Sie haben mir damals gesagt, daß Ihr Mann Sie liebt, Sie als Partnerin behandelt und auf Ihren Rat hört. Ist das noch immer so?«
»Mehr denn je«, erwiderte Safeja leise.
»Dann habe ich wirklich eine Bitte«, sagte Khadija.
Amira träumte von Schüsseln mit goldgelben Aprikosen, die sie alle essen durfte. Sie lag im Bett und hatte die Arme um den englischen Teddybär geschlungen, den Onkel Edward für sie aus England hatte schicken lassen. Der schöne Traum tröstete sie auch damit, daß Papa nach einem langen Urlaub zurückkehrte und alle im Haus wieder glücklich waren.
Es gab ein Fest. Mama trug ein weißes glänzendes Abendkleid und Diamantohrringe. Umma brachte in einer großen Schüssel Sahne aus der Küche und braunen Zucker für die Aprikosen.
Dann sah sie Jasmina tanzen. Sie lachte und rief: »Mischmisch!
Mischmisch
!«
Amira schlug die Augen auf. Im Zimmer war es dunkel. Das Mondlicht fiel wie schmale silberne Bänder durch die Fensterläden. Sie lauschte. Hatte sie geträumt, daß ihre Schwester sie rief? Oder hatte sie wirklich …
Ein Schrei zerriß die Stille.
Amira sprang aus dem Bett und lief zum Bett ihrer Schwester. Es war leer, und das Laken war zurückgeschlagen. »Lili?« rief sie. »Wo bist du?«
Dann sah sie Licht unter der Badezimmertür.
Sie lief dorthin. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Umma kam mit der schluchzenden Jasmina auf dem Arm heraus. »Was ist geschehen?« fragte Amira.
»Es ist alles in Ordung«, sagte Khadija und legte die Siebenjährige ins Bett, deckte sie mit dem Laken zu und trocknete ihr die Tränen. »Jasmina wird es bald wieder gutgehen.«
»Aber was …«
»Komm, Amira. Du bist jetzt an der Reihe«, rief Tante Doreja aus dem Bad. Die Sechsjährige spürte zwei starke Hände auf der Schulter. Man schob sie in das große Marmorbad, das sie mit ihrer Schwester und Tahia benutzte. Amira sah die alte Zou Zou. Sie saß auf einem Stuhl und las leise aus dem Koran. Eine Decke lag auf dem Boden, und es roch durchdringend medizinisch. Als Tante Doreja sie aufforderte, sich auf die Decke zu setzen, bemerkte Amira frische Blutflecken. Sie bekam plötzlich Angst.
Aber Nefissa und Doreja ließen Amira keine Zeit, sich zu wehren. Sie hielten sie fest, schoben das Nachthemd hoch und spreizten ihre Beine. Amira sah ihre Großmutter mit einem Rasiermesser in der Hand. »Umma?« rief sie erschrocken.
Dann durchzuckte sie ein brennender Schmerz zwischen den Beinen, und sie glaubte, man habe sie in zwei Teile geschnitten.
Sie schrie laut auf, als die Frauen die Wunde bereits mit einer Salbe bestrichen und dann ein dicken Verband darauf legten, den sie mit Heftpflaster verklebten. Währenddessen redeten ihre Tanten und Khadija
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