Das Paradies
rückwärts gegen den Stamm eines Granatapfelbaums.
Er drückte sie gegen den Stamm und küßte sie noch einmal. Sie wehrte sich und versuchte zu schreien. »Du weißt, daß du mich ebenso sehr willst wie ich dich«, flüsterte er und versuchte, die Hand in ihre Bluse zu schieben.
»Ich will dich nicht …«, schluchzte sie, »geh jetzt oder ich rufe um Hilfe!«
Er lachte. »Du wirst nicht um Hilfe rufen. Du möchtest, daß ich das tue. Ich habe seit mehr als acht Jahren auf diese Gelegenheit gewartet.« Es gelang ihr, sich von ihm loszureißen. Sie stolperte über ihre Gartengeräte. Als Hassan nach ihr greifen wollte, drehte sie sich um und hielt ihm einen Rechen vor das Gesicht. »Ich werde mich damit wehren, das schwöre ich.«
Er sah die spitzen Zinken dicht vor seiner Wange, und sein Lächeln verschwand. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Oh doch«, sagte sie. »Du widerst mich an. Du bist ein Ungeheuer. Wenn du mich berührst, werde ich dafür sorgen, daß alle Welt sehen kann, was für ein Ungeheuer du bist.«
Er blickte auf den Rechen und dann auf Alice. Plötzlich lächelte er, hob die Hände und trat ein paar Schritte zurück. »Du verlangst einen hohen Preis, wenn du glaubst, du bist es wert, deinetwegen eine Entstellung zu riskieren. Leider hast du keine Ahnung, was dir entgangen ist. Ich hätte mit dir auf eine Weise geschlafen, daß du deinen Mann vergessen hättest. Nach einer Stunde mit mir hättest du keinen anderen Mann mehr haben wollen.« Er lachte. »Arme Alice. Du weißt nicht, daß du eines Tages zu mir kommen und mich anflehen wirst, mit dir zu schlafen. Aber noch eine Gelegenheit wirst du nicht bekommen. Du wirst dich an diesen Nachmittag erinnern und deine Haltung bedauern.«
Khadija wußte nicht mehr, wo sie war.
Ihr Ziel war eine Adresse in der Schari El Azhar. Suleiman hatte ihr den Weg so einfach wie möglich erklärt. »Du gehst auf der Kasr El Aini nach Norden bis zu der großen Verkehrsinsel vor der englischen Kaserne. Das war früher der Ismail-Platz, jetzt heißt er Platz der Befreiung. Du wirst zwei Läden sehen. In einem wird Gebäck verkauft. Im Schaufenster des anderen liegen Koffer. Von dort geht die Straße ab, die zur Hauptpost führt. Auf dieser Straße gehst du nach Osten bis zu einer anderen großen Verkehrsinsel, und dann bist du am Postamt. Von diesem Platz geht die Schari El Azhar nach Osten, und du erreichst die Große Moschee. Das Haus steht in einer kleinen Straße gegenüber der Moschee. Du siehst eine blaue Tür und auf den Stufen einen Blumentopf mit roten Geranien.« Khadija hatte das Blatt Papier mit der Adresse vorsichtshalber verbrannt, damit es nicht in die falschen Hände geraten konnte, und sich Suleimans Beschreibung genau eingeprägt.
Aber sie hatte mit zwei Dingen nicht gerechnet. Sie konnte sich in der Richtung irren, und der wolkenverhangene Himmel machte es unmöglich, als Orientierungshilfe den Stand der Sonne zu bestimmen. Zwei Stunden, nachdem sie durch das Gartentor auf die Straße getreten war, mußte Khadija sich eingestehen, daß sie in die falsche Richtung ging und nicht mehr wußte, wo Osten und Westen war.
Sie bemühte sich, nicht an den grauen Himmel zu denken. Khadija hatte viele Nachmittage und Abende auf dem weitläufigen Dach ihres Hauses verbracht. Dort zog sie Weintrauben und hatte einen Taubenschlag, denn Tauben gehörten zu den Lieblingsgerichten der Familie. Doch der Himmel in der Paradies-Straße unterschied sich von diesem Himmel. Auf dem Dach empfand sie ihn als Schutz, aber hier war alles anders. Zum ersten Mal, seit man sie von der Karawane entführt hatte, stand sie wieder schutzlos unter dem großen weiten Himmel.
Khadija befand sich an einer geschäftigen Straßenkreuzung. Menschen eilten an ihr vorbei, und Autos fuhren mit hoher Geschwindigkeit vorüber. Verloren blickte sie auf die riesigen Gebäude. Sie kannte die Stadt von ihrem Dachgarten und hatte sich jede Kuppel, jedes Minarett und Dach genau eingeprägt. Aber jetzt stand sie unten auf der Straße, und alles war fremd, erschreckend laut, staubig, hektisch und gefährlich.
In welche Richtung sollte sie gehen? Wo war die Schari El Azhar? Wo war die Paradies-Straße?
Es war schwierig gewesen, bis zu diesem Punkt zu kommen. In Kairo gab es so viele Menschen! Auf den Straßen sah sie Panzer und überall Soldaten. Khadija eilte weiter und zog die Melaja enger um sich, denn sie hatte das Gefühl, als würden alle Fußgänger sie ansehen und denken: Das ist
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