Das Paradies
beruhigend auf sie ein, strichen ihr über die Haare und küßten sie. Umma sagte, sie sei ein tapferes kleines Mädchen, und alles werde bald vorbei sein.
Die Tür ging plötzlich auf, und Alice stand im Nachthemd im Zimmer. Ihre blonden Haare waren zerzaust, und die Augen wirkten verschlafen. »Was ist los? Ich habe einen Schrei gehört. Es klang, als habe Amira geschrien.«
»Es ist nichts«, sagte Khadija begütigend, aber als Alice ihre Tochter schluchzend auf der Decke liegen sah mit einem Verband zwischen den Beinen, kniete sie nieder und nahm ihr Kind in die Arme. »Was ist geschehen? Bist du gefallen? Mein armes Kleines! Was ist denn los?«
»Es wird ihr bald wieder gutgehen«, sagte Khadija begütigend, nahm ihr Amira aus den Armen und trug sie in das Schlafzimmer.
»Aber was ist geschehen?« Alice sah, daß Jasmina ebenfalls weinend im Bett lag, und sie sah verwirrt die anderen Frauen an – Doreja, Nefissa und die alte Zou Zou. Sie waren angezogen, obwohl es Mitternacht sein mußte.
»Mutter Khadija, was ist los?« fragte Alice.
»Mach dir keine Sorgen. Amiras Wunde wird in ein paar Tagen verheilt sein.«
Alice sah ihre Verwandten an, die lächelten und ihr versicherten, es sei alles in bester Ordnung. Aber dann fiel ihr Blick auf die blutige Rasierklinge auf dem Waschtisch, und sie fragte: »Aber was habt ihr mit den Mädchen gemacht?«
»Es war ihre Beschneidung«, erwiderte Nefissa, »mehr nicht. In ein oder zwei Tagen werden sie alles vergessen haben. Komm, wir trinken jetzt einen Tee.«
»Was hast du gesagt?« fragte Alice. »Ihre was? Ich verstehe das nicht.« Dann hörte sie, wie Doreja leise zu Tante Zou Zou sagte: »Die Engländer machen das nicht.«
Alice deckte Amira besorgt zu, strich ihr über das Gesicht und die Haare, bis ihre Tochter sich etwas beruhigt hatte, dann sagte sie: »Es ist alles gut, mein Schatz. Mammi ist ja da. Alles ist gut. Wo ist denn dein Teddybär? Ah, da ist er ja. Er darf nicht sehen, daß du weinst, sonst weint er auch. So ist es lieb. Du bist Mammis kleiner Engel.«
Khadija legte Alice die Hand auf den Arm und sagte: »Komm mit, und ich werde dir alles erklären.«
Aber Alice schüttelte den Kopf und blieb bei Amira, bis sie aufgehört hatte zu weinen und schließlich einschlief.
Als Alice in das Schlafzimmer von Khadija kam, stand dort der Tee bereit. Khadija schenkte ihr eine Tasse Minztee ein und fragte: »Hat Doreja recht, wenn sie sagt, die Engländer kennen eine Beschneidung nicht?«
Alice sah sie verwirrt an. »Jungen manchmal … glaube ich. Aber … Mutter Khadija, wie kann ein Mädchen beschnitten werden? Was hast du mit ihnen gemacht?«
Als es Khadija ihr erklärte, erstarrte Alice vor Entsetzen. »Aber das ist nicht dasselbe wie die Beschneidung eines Jungen! Das ist eine Verstümmelung. Das ist unnatürlich!«
»Es ist keine Verstümmelung, liebe Alice. Wenn Amira heranwächst, wird sie nicht verändert sein. Sie wird nur eine kleine Narbe zurückbehalten. Ich habe nur den winzigsten Teil entfernt. Wir sagen, es ist die Maulbeere. Ansonsten ist sie dieselbe wie zuvor.«
»Aber warum? Warum macht ihr das?«
»Es geschieht, um die Ehre eines Mädchens zu schützen, wenn es heranwächst. Die Unreinheit wurde entfernt, damit sie eine keusche und gehorsame Frau wird.«
Alice runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht, Mutter Khadija. Ich meine, nach dieser Beschneidung … kann eine Frau dann noch Freude am Sex haben?«
Khadija erwiderte: »Eine Frau empfindet Freude am Sex, wenn sie weiß, daß sie ihren Mann befriedigt hat. Aber ihre wahre Freude stammt aus der Würde der Geburt und der Mutterschaft.«
Alice starrte sie an, und allmählich verstand sie. »Wie kannst du es wagen, etwas so Ungeheuerliches meiner Tochter anzutun!«
Khadija erwiderte: »Ich verstehe deine Empörung nicht. Jedes muslimische Mädchen wird diesem Ritual unterzogen. Ich habe meine Pflicht getan und damit die Voraussetzung dafür geschaffen, daß meine Enkeltochter einen guten Ehemann finden wird, denn er weiß, daß sie nicht schnell stimuliert werden kann, und deshalb wird er ihr trauen. Aus diesem Grund heiratet kein ehrenwerter Mann eine unbeschnittene Frau.«
Alice wurde rot. »Dein Sohn hat mich geheiratet, oder nicht?«
Khadija beugte sich vor und ergriff ihre Hand. »Ja, das hat er. Und da du meinen geliebten Sohn geheiratet hast, liebe ich dich ebensosehr wie ihn. Es tut mir aufrichtig leid, daß du so schockiert bist. Ich hätte dich
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