Das Parsifal-Mosaik
einen halben Meter in die Erde gerammt war. Es handelte sich um eine Fotozelle, deren Gegenstück auf der anderen Straßenseite zu finden war, so daß ein unsichtbarer Lichtstrahl die Dunkelheit durchkreuzte und die beiden Endpunkte verband. Alles, was diesen Strahl länger als eine Sekunde oder mit einem Gewicht von mehr als 22 Kilo durchbrach, würde irgendwo einen Alarm auslösen. Michael tastete sich vorsichtig nach rechts, durch das kalte, nasse Gestrüpp, und umging so die Sperre. Am Rande der Büsche blieb er wieder stehen, weil er eine flackernde weiße Linie bemerkt hatte, die parallel zu seinen Schultern verlief. Es war ein Stacheldraht, der ein Feld eingrenzte und an dessen Stacheln kurzzeitig Schneeflocken hängen blieben, ehe der Wind sie wegfegte. Er hatte den Draht nicht gesehen, als er an dem Briefkasten vorbeigefahren war; jetzt blickte er sich um und begriff. Der Zaun begann erst an der Stelle, wo das Gebüsch hoch genug war, um ihn zu verbergen. Und das bedeutete, daß ausreichender Druck gegen die Drähte einen weiteren Alarm auslösen würde. Janos Kohoutek war offensichtlich sehr auf seine Sicherheit bedacht, für die ihm nichts zu kostspielig war. Zwischen dem grünen Licht und dem schulterhohen Stacheldrahtzaun verlief also der Weg, dachte Havelock. Wenn es eine Lichtschranke gab, waren auch noch andere entlang des Weges installiert, denn jede Schutztechnik kalkulierte Defekte mit ein. Michael konnte vor sich praktisch nichts als Blattwerk, Finsternis und wirbelnden Schnee erkennen. Er schlich weiter, das Buschwerk und die einzelnen Zweige vor sich wegschiebend, die Augen auf den Boden geheftet, um nach winzigen grünen Lichtpunkten Ausschau zu halten.
Er passierte drei, dann vier, und jeder war etwa achtzig Meter vom nächsten entfernt. Als er die Mauer aus hohen Bäumen erreichte, wurde auch der Drahtzaun höher. Er war jetzt bis auf die Haut durchnäßt, und an seinen Augenbrauen klebte Eis; plötzlich wurde ihm bewußt, daß er sich auf einem leicht abschüssigen Pfad fortbewegte. Er blickte zur Straße hinüber. Dort war das Gefalle ausgeprägter, und er konnte jetzt die gefleckte Fläche aus Schnee und Erde nicht mehr sehen. Zwischen den Bäumen war eine Lücke, der schmale, abschüssige Weg, den er noch vor sich hatte, war mit Buschwerk angefüllt, und das hohe Gras und die Büsche bogen sich im Wind.
Und dann bot sich ihm ein Anblick, der ihn zugleich hypnotisierte und beunruhigte ... so wie vor kurzem, als er Jacob Handelman das erste Mal sah. Auf den ersten Blick wirkte die Anlage wie eine beliebige Farm, die von Feldern und endlosen Wäldern umgeben ist. Bei den Gebäuden aus massivem Holz konnte es sich um ein paar Scheunen handeln, um ein Silo, um ein paar Schuppen für Traktoren, Pflüge und andere Erntegeräte. Auch dazu dienten sie, dessen war Havelock sicher, aber sie waren auch mehr. Viel mehr.
Es begann mit dem Tor; es war aus Eisenrohr zusammengeschweißt und dazwischen ganz gewöhnliches Drahtgeflecht, aber es war höher als für eine Farm erforderlich -als hätte derjenige, der es hatte anfertigen lassen, sich bei der Festlegung der Höhe geirrt und dann beschlossen, mit seinem Fehler zu leben. Und dann war da der Zaun, der sich zu beiden Seiten des unauffälligen Tors erstreckte; er war ebenfalls höher als notwendig, um die Tiere auf den Weiden zurückzuhalten. War es nur die Höhe? Da entdeckte Michael, daß die Krone des Stacheldrahtzauns nach innen geneigt war. Dieser Zaun war nicht dazu bestimmt, Tiere abzuhalten, wegzulaufen; er diente vielmehr dem Zweck, Leute daran zu hindern, auszubrechen. Plötzlich schoß der blendende Balken eines Scheinwerfers aus dem oberen Teil des Silos! Er kreiste ... erfaßte ihn! Dies waren die achtziger Jahre, aber er stand vor einem schrecklichen Symbol menschlicher Erniedrigung und Tortur, das vierzig Jahre zurückreichte. Es war ein Konzentrationslager! »Wir haben uns schon gefragt, wie lange Sie brauchen würden«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Er fuhr herum, griff nach seiner Waffe. Doch es war zu spät. Kräftige Arme umklammerten seinen Hals, während ein paar Hände ihm ein weiches, feuchtes, bitter riechendes Stück Stoff auf das Gesicht preßten. Dann kam die Finsternis, und er konnte weder sehen noch fühlen.
21
Als erstes spürte er die Wärme. Er schlug die Augen auf; sein Blick war verschwommen.
Der beißende Geruch in seiner Nase verursachte ihm Übelkeit; man hatte ihn mit reinem Äthyläther betäubt.
Er sah
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