Das Parsifal-Mosaik
keinen Sinn, zu streiten. Er schaltete die Scheinwerfer ab und bog in die Einfahrt, ließ den Motor auf niedriger Tourenzahl laufen und den Buick bis auf zehn Meter zum Eingang heranrollen. Dann kam der Wagen zum Stillstand. »Fertig?« fragte er und sah Jenna an. »Ja.« Sie schob die Fotografien unter ihren Mantel. »Fertig«, sagte sie.
Sie stiegen aus, schlössen beide leise die Türen und gingen die breiten Stufen zu der mächtigen Eichentür hinauf. Havelock läutete, und wieder war das Warten unerträglich. Schließlich öffnete sich die Tür, und die uniformierte Haushälterin stand vor ihnen, sie wirkte verblüfft.
»Guten Abend. Sie sind Enid, nicht wahr?«
»Ja, Sir. Guten Abend, Sir. Ich wußte nicht, daß Mr. Alexander Gäste erwartet.«
»Wir sind alte Freunde«, sagte Michael, die Hand an Jennas Arm, und beide traten ein. »Einladungen sind nicht erforderlich. Das gehört zu den Regeln.« »Die habe ich noch nie gehört.«
»Sie ist ziemlich neu. Ist Mr. Alexander da, wo er um diese Stunde gewöhnlich ist? In seiner Bibliothek?«
»Ja, Sir. Ich werde ihm sagen, daß Sie hier sind. Ihr Name bitte?« Plötzlich war ein hohlklingendes Echo zu hören, das die große Eingangshalle erfüllte. »Das wird nicht nötig sein, Enid.« Es war die abgehackte, hohe Stimme von Raymond Alexander, die aus einem unsichtbaren Lautsprecher schallte. »Ich habe Mr. Havelock bereits erwartet.«
Michaels Blick huschte über die Wände, und seine Hand hielt Jennas Arm fester umklammert. »Ist das auch wieder eine Regel, Raymond? Um sicher zu sein, daß der Gast auch der ist, der er zu sein behauptet?«
»Sie ist ziemlich neu«, erwiderte die Stimme. Havelock ging mit Jenna durch das elegante Wohnzimmer, das mit Antiquitäten aus allen Teilen der Welt angefüllt war, bis er die handgeschnitzte Tür der Bibliothek erreichte. Er schob sie nach links, neben den Türrahmen; sie verstand. Dann griff er unter sein Jackett nach der Llama, hielt sie in Hüfthöhe und drehte den schweren Bronzeknopf mit der Linken. Er drückte die Tür auf, die Waffe schußbereit.
»Ist das wirklich notwendig, Michael?«
Havelock trat langsam ins Zimmer. Schnell gewöhnten sich seine Augen an die indirekte, schattenhafte Beleuchtung der Bibliothek. Das Licht kam von zwei Lampen; die eine stand auf dem großen Schreibtisch am anderen Ende des Raumes, die andere, eine Stehlampe, strahlte auf den voluminösen, weichen Ledersessel herab und beschien das volle, dichte Haar Raymond Alexanders. Der alte Journalist saß regungslos da, ein Brandyglas in den aufgedunsenen, blaßweißen Händen, und trug eine dunkelrote Samtjacke. »Kommen Sie herein«, sagte er, nahm die rechte Hand vom Glas und griff nach einer kleinen Box auf dem Tischchen, das neben dem Sessel stand. Er drückte einen Knopf, und irgendwo über ihm, an der Wand über der Tür, verblaßte der schwache Schein eines Fernsehmonitors. »Miß Karras ist eine schöne Frau. Mein Kompliment .. Kommen Sie herein, meine Liebe.«
Jenna trat näher und stellte sich neben Michael. »Sie sind ein Monstrum«, sagte sie ganz ruhig. »Noch viel schlimmer.«
»Sie wollten uns beide töten«, fuhr sie fort. »Warum?« »Nicht ihn, nein, nicht .. Mikhail.« Alexander hob sein Glas und trank. »Ihr Leben - oder Ihr Tod - standen nie zur Debatte, so oder so. Wir hatten das nicht zu bestimmen.« »Dafür könnte ich Sie töten«, sagte Havelock. »Ich wiederhole : Wir hatten darüber nicht zu bestimmen. Offen gestanden, wir dachten, man würde Miß Karras zurückziehen, nach Prag bringen .. am Ende freigeben. Begreifen Sie denn nicht, Mikhail, sie war nicht wichtig. Nur Sie waren wichtig; Sie waren der einzige, auf den es ankam. Sie mußten weg, und wir wußten, daß die das nie zulassen würden, Sie waren zu wertvoll. Sie mußten selbst darauf bestehen, den Dienst zu quittieren. Ihr Ekel mußte so unerträglich werden, daß Ihnen kein anderer Weg blieb. Es hat gewirkt; Sie gingen. Das war notwendig.«
»Weil ich Sie kannte«, entgegnete Havelock, »den Mann, der es fertigbrachte, einen kranken Freund zum Wahnsinn zu treiben. Ich kannte den Mann, der Anthony Matthias das angetan hatte: Parsifal.«
»Parsifal? Was für eine feine Ironie. Nur, daß dieser Bursche keine Wunden heilt, sondern sie aufreißt. Überall.« »Deshalb haben Sie doch das alles getan, nicht wahr? Ich wußte, wer Sie sind.«
Alexander schüttelte den Kopf, seine grünen Augen schlössen sich kurz unter seinen dichten buschigen
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