Das Patent
die sie erhielt, bestand aus einer Bewegung Georgias und einem leisen Seufzer.
Sarah wünschte sich plötzlich, Fred Barksdale wäre jetzt bei ihr. Normalerweise hätte sie ein Gefühl dieser Art als Sentimentalität oder Schwäche zurückgewiesen. Aber jetzt nicht.
Freddy hatte bestimmt genau den Spruch auf Lager, den sie brauchte, um sich aufzurichten.
Als sie nach Utopia gekommen war, hatte sie keinen Gedanken an eine Romanze verschwendet. Dass sie sich in Fred Barksdale verlieben könnte, hatte sie nie und nimmer geglaubt. Sie war immer mit Männern wie Warne zusammen gewesen - mit Männern, die ungezwungen charismatisch und leicht arrogant waren und sich nicht davor fürchteten, der Welt zu zeigen, was sie auf dem Kasten hatten. Freddy war das genaue Gegenteil. Ach, natürlich konnte niemand bestreiten, dass auch er etwas auf dem Kasten hatte - die unglaublichen Herausforderungen Utopias anzunehmen und die Überwachung des Aufbaus der digitalen Infrastruktur war eine tolle Leistung. Aber er war einfach zu perfekt: Sein aristokratisches britisches Auftreten, sein Filmstargesicht und seine literarische Bildung entsprachen fast dem Klischee des idealen Mannes.
Doch dann, an einem Abend vor zwei Monaten, waren sie sich zufällig am Roulettetisch im Gaslightkasino begegnet.
Kurz danach hatte die New Yorker Hauptverwaltung den Angehörigen der Betriebsleitung das Betreten der Spielpaläste Utopias untersagt. Barksdale hatte viel mehr Geld verspielt als beabsichtigt, hatte sie aber dennoch mit einigen Zitaten aus dem Munde Falstaffs über das Übel des Spiels entzückt. Sie hatten den Abend mit einem Gläschen in der nicht weit entfernten Bar »Poor Richard« ausklingen lassen und eine Woche später im besten französischen Restaurant von Las Vegas miteinander zu Abend gegessen. Fred hatte sich als Offenbarung entpuppt. Er hatte volle zwanzig Minuten mit dem Weinkellner über die Weinkarte diskutiert. Es war kein bloßes Posieren gewesen, auch keine Affektiertheit. Barksdale hatte echtes Interesse gezeigt und eindeutig mehr über die Chateaux von Saint Emilion gewusst als der Kellner. Einen großen Teil des Essens hatte er damit zugebracht, Sarahs Fragen über Bordeauxweine zu beantworten und ihr Begriffe wie Grand Cru und Appellation zu erläutern.
Sarah war bestens vertraut mit Männern, die glaubten, sie müssten sich ihr so präsentieren, wie sie selbst war: stark.
Männer, die den Macho mimten und wie Triumphatoren auftraten. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich danach sehnte, einfach nur wie eine Frau behandelt zu werden: dass man sie zu einem eleganten Essen ausführte, ihr sagte, wie hübsch sie war; dass man ihren Grips bewunderte, weltmännisch mit ihr schäkerte und sie hin und wieder auf ein Podest stellte. War es wirklich erst drei Wochen her, seit sie an einem sonnigen Samstagmorgen aufgewacht war und begriffen hatte, dass die Gefühle, die sie für Fred Barksdale empfand, viel stärker waren als erwartet? Sarah richtete sich seufzend auf dem Stuhl auf. Utopia und Freddy waren inzwischen die beiden wichtigsten Dinge ihres Lebens. Eigentlich sogar die einzigen. Sie musste sie beschützen, und zwar um jeden Preis.
Sie stand auf, trat ans Kopfteil des Bettes und nahm Haltung an. Sie musste das medizinische Zentrum kurz verlassen und sich an einigen wichtigen Stellen zeigen. Dann musste sie Bob Allocco ausfindig machen und mit ihm über Schadensbegrenzungen sprechen.
Jemand klopfte leise an die Wand neben der Erholungsnische. Dann teilte sich der Vorhang und Fred Barksdales Gesicht kam zum Vorschein. Der Blick seiner wasserblauen Augen wanderte über das Bett, dann schaute er Sarah an.
»Sarah!« Angesichts der schlafenden Gestalt zuckte er leicht zusammen und sprach leiser. »Hallo. Ich hab gehört, ich könnte dich irgendwo hier finden.«
Einen Moment lang fiel es Sarah schwer, etwas zu sagen.
Nach allem, worüber sie gerade nachgedacht hatte, führte sein überraschendes Auftauchen zu einer unerwarteten Gefühlsaufwallung. Sie näherte sich ihm.
»Fred«, sagte sie. »O Freddy. Ich bin völlig fertig.«
Barksdale nahm ihre Hände. »Warum? Was ist denn?«
»Ich habe zwei schreckliche Fehler gemacht. Ich habe zugelassen, dass meine Wut auf John Doe meinen Verstand beeinflusst. Chris Green... Was in >Finsterwasser< passiert ist... Es war meine Schuld.«
»Wie kannst du das sagen, Sarah? Dafür ist John Doe verantwortlich. Du kannst es ihm zum Vorwurf machen, aber doch nicht
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