Das Perlenmaedchen
dabei; wenn er dann aber die blaue Feder betrachtete, die Paluma Tapferem Adler geschenkt hatte, zog sich ihr Herz vor Trauer zusammen. Wie hätte sie ahnen können, dass Chac in diesen Momenten nur daran dachte, wie Tonina ihm die blaue Feder in Tikal geschenkt hatte.
Als er nun zu Tonina trat, spürte sie, wie sich sein Blick unwillkürlich auf die Stelle an ihrem Haaransatz heftete, wo der Ball sie getroffen und auf die er seine Lippen gepresst hatte. Verlegen sah sie ihn an.
»Ich habe einen Plan«, sagte er. »H’meen hat mir eine Zeiteinteilung gegeben, um ihn durchzuführen. Wir werden deine Blume finden, das verspreche ich dir.«
Leise Enttäuschung machte sich in Tonina breit. Dabei hätte sie sich doch freuen sollen! Aber sie musste unwillkürlich daran denken, dass, sobald die Blume entdeckt war, sie und Chac getrennte Wege ziehen würden.
»Anschließend«, fuhr er fort, »werde ich dafür sorgen, dass Haarlos und seine Brüder dich zur Küste begleiten und ein Kanu und Ruderer für dich auftreiben, damit du wohlbehalten nach Hause zurückkehrst.«
Er verbarg sorgfältig, wie schwer es ihm fiel, dies zu sagen. Die Vorstellung, von ihr Abschied zu nehmen, war ihm entsetzlich. Die Dunkelheit brach herein, Küchendüfte erfüllten die Luft, dazu Gelächter, Musik, Geschrei, Zänkereien, weinende Kinder. Inmitten dieser Menschenmenge versuchte Chac, sich auf einen Gedanken zu konzentrieren, wie ihm die Pilgerreise nach Teotihuacán auferlegt worden war, war ihr auferlegt, die rote Blume zu finden.
Je länger er mit ihr zusammen war, desto deutlicher wurde ihm, wie viele Gemeinsamkeiten sie hatten. Was käme als Nächstes?, überlegte er und ahnte bereits, was das war – dass er unter der weißen Gesichtsbemalung und den Inselsymbolen Gesichtszüge entdecken würde, die seinen eigenen entsprachen.
Sollten wir tatsächlich demselben Volk angehören, könnten wir dann im anderen einen sicheren Hafen finden, einen Platz, an den wir hingehören?
»Ich werde Suchtrupps zusammenstellen«, sagte er sachlich. »Mit jeweils einem der Neun Brüder an der Spitze werden sie nach allen Richtungen ausschwärmen. H’meen hat eine Karte von dieser Gegend. Wir werden jedes Fleckchen Boden absuchen, jeden Baum und Busch in Augenschein nehmen. Keine Bange, Tonina, wir finden sie, deine Blume.«
Es war ein guter Plan. Dennoch fühlte sich Tonina innerlich zerrissen. Wie war es so weit gekommen? Guama hatte sie nach einer Medizin für Großvaters Krankheit ausgeschickt, und irgendwo unterwegs hatte dann die rote Blume einen legendären Ruf bekommen und immer mehr Menschen angezogen: Unweit des Flusses lagerte eine Mutter, deren apathisches Baby nicht essen wollte; unter einem Mahagonibaum saß ein Mann, der seine Beine nicht gebrauchen konnte und seit dem Aufbruch in Uxmal von seiner Familie getragen wurde; da war die junge Frau, die unversehens taub geworden war, ihren Hof verlassen und sich Tonina angeschlossen hatte. So viele verzweifelt Hoffende, die alle die Zauberkraft der Blume für sich herbeisehnten.
Aber in dem Moment, da Tonina die Blume in den Händen halten würde, bedeutete dies auch den Abschied und die Trennung von Chac. Bei diesem Gedanken spürte sie dumpfe Verzweiflung in sich aufsteigen.
Tonina wusste, dass sie drauf und dran war, sich in Chac zu verlieben. Aber durch die Enttäuschungen in der Vergangenheit vorsichtig geworden, wollte sie sich nie wieder binden, vor allem nicht an einen Mann, der seine tote Frau liebte und dessen Weg ein anderer war als ihrer. Sie wollte diese Liebe geheimhalten und für immer in ihrem Herzen bewahren.
39
Die junge Frau wand sich ungeduldig unter Prinz Baláms Stößen.
Er war nicht der begnadete Liebhaber, den sie erwartet hatte. Sie musste sich zwingen stillzuhalten, während er seine Befriedigung suchte. Darauf eingelassen hatte sie sich nur, weil er von königlichem Blut war und sein Glück auf sie abstrahlen würde. Und wenn diese hastige Paarung eine Schwangerschaft nach sich ziehen würde, umso besser. Dann wäre ihr Kind der Sprössling eines Prinzen von Uxmal.
Endlich knurrte Balám leise auf, ein Schauer überlief ihn, dann sackte er zusammen. Die junge Frau war höflich genug, noch kurz zu warten, ehe sie ihm einen Stüber versetzte und er auf den Rücken rollte. Sie stand auf, streifte sich den Rock glatt – er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sie auszuziehen – und eilte zurück ins Lager der Frauen, um ihren Freundinnen eine
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