Das Perlenmaedchen
aufregendere und schmeichelhaftere Version ihres Abenteuers aufzutischen.
Als Balám sich wieder den Lendenschurz anlegte, hatte er die junge Frau bereits vergessen. An solche wie sie verschwendete er keine Gedanken. Bei seinem Heißhunger auf Sex, den er entwickelt hatte, nahm er sich fast jeden Abend eine Frau und immer eine andere. Der Beischlaf erfolgte in aller Eile, die Befriedigung war nur von kurzer Dauer. Seine Gier war unersättlich, und der Grund dafür war Yaxche. Keine andere konnte es mit dem ausladenden Busen und den prachtvollen Schenkeln einer der fettesten und sinnenfreudigsten Frauen in Mayapán aufnehmen.
Und diese Frau war tot.
Sein einziger Trost war, eines Tages seine Tochter zu finden.
Seit sich ihm auf der Plaza von Tikal, von gleißendem Licht umgeben, klar und deutlich seine Zukunft offenbart hatte, wusste Balám, dass er mit Ziyal wieder vereint sein würde. Dieses Wissen spornte ihn an, hielt ihn auf dem Weg, den Chac und seine erbärmliche Gefolgschaft sich bahnten. Wenn Balám seine Männer durch den Dschungel führte, gab es nur einen Gedanken, der wie eine Fackel in ihm loderte: wieder seine Tochter in den Armen zu halten.
Entscheidend für Baláms Geheimplan war das Schicksal von Chac und dem Inselmädchen. Ohne es zu ahnen, sollten diese beiden dazu beitragen, Ziyal ausfindig zu machen.
Einauge war von Natur aus neugierig. Und jetzt, da Chac einen längeren Aufenthalt angeordnet hatte, vernahm er wieder den Lockruf seiner Bestimmung, Informationen zu sammeln und sie gewinnbringend zu veräußern.
Das Leben war schön. Er schlief wieder mit Frauen. Er wusste zwar, dass sie es nur taten, um etwas von seinem Glück zu erhaschen. Aber sollte er deshalb ganz auf das Vergnügen verzichten, sich die hamac mit einem weiblichen Wesen zu teilen? Vor dem Aufbruch aus Tikal hatte er sich die Haare stutzen lassen – zu einem Rundschnitt nach Inselart – und sich eine neue Augenklappe aus Leder mit einem blauen Baumwollband zugelegt, das um den Kopf geschlungen wurde. Angetan mit seinem leuchtend orangeroten Umhang und dem adretten roten Lendenschurz, kam sich Einauge, der Zwerg, wieder vor wie der charmante Bursche von früher.
Nachdem er zwei Tage darauf verwendet hatte, in der Siedlung am Fluss Bekanntschaften zu knüpfen und sich als sympathischen Kerl einzuführen – wer würde schon einen so farbenfroh gekleideten Mann für einen Spion halten? –, wollte er jetzt in Erfahrung bringen, was es mit Prinz Balám und seinen Vettern auf sich hatte. Chacs Leute hatten die kleine Gruppe von Kriegern, die ihnen im Abstand von einem halben Tag folgten, kaum zu Gesicht bekommen. »Ich bleibe euch fern, um euch nicht durch meine Anwesenheit zu beschmutzen«, hatte Balám eines Abends auf Chacs erneute Einladung hin, zu ihnen ins Lager zu kommen, laut und deutlich erklärt.
Einauge traute der Sache nicht.
Und weil er ahnte, dass der Prinz aus Uxmal etwas im Schilde führte, beschloss der gewiefte Zwerg an diesem kühlen Winterabend, in Erfahrung zu bringen, was Chacs einstmaliger »Bruder« so trieb.
Baláms Truppe war derart groß geworden, dass sich sein Lager inzwischen über eine recht ansehnliche Fläche erstreckte und Frauen mit einschloss, von denen viele ausschließlich damit beschäftigt waren, Tortillas zu backen – eine nie endende Tätigkeit in Anbetracht der zahlreichen Mäuler, die es zu füttern galt. Balám stellte denen, die sich ihm anschließen wollten, keinerlei Fragen. In seiner Gruppe gab es keine Schwächlinge, dafür eine Menge an Wut und Verbitterung, und dies, sagte sich Balám, würde ihm eines Tages zugute kommen. Alles, was er von seinen Gefolgsleuten verlangte, war Gehorsam.
Und Geduld.
Am Lagerfeuer sitzend, sann er über sein weiteres Vorgehen nach. Balám nahm seine Mahlzeiten nie allein ein, brauchte ständig Gesellschaft. Wahrscheinlich, so sagte er sich, weil er sich, nachdem er seine Familie verloren hatte, einsam fühlte.
Den wahren Grund wollte er sich nicht eingestehen: der Anblick der Ruinen von Copán hatte ihn mit Angst und Schrecken erfüllt. Er konnte nicht an die eingestürzten Häuser und die verwaisten Wege denken, ohne dass sich kaltes Entsetzen seiner bemächtigte. Anders als das teilweise noch bewohnte Tikal war Copán restlos ausgestorben. Dabei hieß es, dass dort einmal unzählige Menschen gelebt hatten – Krieger, Priester, Gelehrte, Astronomen, Schreiber, Adlige. Wo waren sie geblieben? Warum hatten sie die Stadt
Weitere Kostenlose Bücher