Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
Entfremdung. Das Einzige, was ihn noch mit jener Stadt verband, war seine Mutter. Aber auch die hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie seine Rückkehr wohl nicht mehr erleben würde. Er war nicht in Mayapán geboren, hatte weder dort Verwandte noch irgendwo sonst auf der Welt. Wo das Volk seiner Mutter lebte, wusste er nicht. Den Stammesnamen hatte er längst vergessen. Und deshalb schritt Chac, der Held des Ballspiels, der weder ein Maya war noch ein Mixteke und auch kein Zapoteke, vorbei an Bauernhöfen, durch Dörfer und Städte, ohne irgendwo stehen bleiben und sagen zu können: Hier gehöre ich hin.
    »Sei gesegnet!« Mit diesem Ruf gesellte sich Häuptling Ozelot zu ihm und bot ihm eine frisch gerollte und bereits glimmende Zigarre an. »Wie ich sehe, habt Ihr unter Euren Leuten einen Zwerg. Den würde ich Euch gern abkaufen. Wir haben zwar einen Zwerg, gewiss doch, aber der besitzt zwei Augen! Ich bin bereit, viele Häute für Euren zu bezahlen.«
    Chac nahm die Zigarre entgegen, rauchte sie aber nicht. »Er steht nicht zum Verkauf.«
    Ozelot grunzte. »Ihr seid der Anführer dieser Leute?«
    »Nein. Ich bin allein unterwegs. Sie folgen mir, weil sie meinen, das Glück sei mit mir.«
    »Wer ist dann ihr Anführer?«
    »Sie haben keinen.«
    Ozelot ließ seinen Blick über das große Lager schweifen, das Leben in seine verschlafene Siedlung gebracht hatte. Seine eigenen Leute trieben bereits Handel mit den Neuankömmlingen oder hielten ein freundliches Schwätzchen mit ihnen. »Aber wo wollen sie denn hin, all diese Leute?«
    »Das weiß ich nicht.«
    Ozelot kräuselte die vom Tabak fleckigen Lippen, sodass die starren Katzenschnurrhaare auf seinen Wangen zitterten. Er hatte durchaus nichts dagegen, Häuptling einer so großen Gruppe zu werden, die noch dazu geschickte Handwerker aufwies, kundige Jäger und dem Vernehmen nach sogar eine königliche h’meen ! Sie hatten viele Götter mitgebracht, was ebenfalls gut war. Für Ozelot zeichnete sich bereits eine glückliche Fügung ab und die Aussicht auf eine neue Blütezeit. Wenn es ihm gelänge, diese Leute zum Bleiben zu überreden, könnte er sie möglicherweise mit dem Bau einer neuen Siedlung beauftragen. Wenn eine Hütte einen steinernen Fußboden haben konnte, warum dann nicht auch Mauern aus Stein? Warum nicht Steine von den Ruinen heranschaffen und hier eine neue Stadt erstehen lassen? Ozelot selbst könnte ein schmuckes Haus aus Stein bekommen – wenn nicht gar einen Palast!
    Bilder über Bilder standen ihm vor Augen. Ein Thron, eine Krone, Menschen, die sich vor ihm verneigten, zum Einsatz bereite Krieger, Abgesandte anderer Königreiche, die ihm Tribut zollten. Es war eine so atemberaubende umfassende Vision, dass Ozelot sein Glück schier nicht fassen konnte. Er brauchte nur diese Leute zu überreden, sich hier niederzulassen, und sich dann zu ihrem Häuptling zu machen. Mit gierigem Blick schielte er zu dem hochgewachsenen Mann an seiner Seite. Offiziell gewählter Anführer oder nicht – Chac war eindeutig der, den die Leute als ihr Oberhaupt ansahen.
    Ozelot grinste. Ein zu bewältigendes Hindernis. Gift sollte genügen.
    »Ich erwarte Euch zu unserem Festmahl heute Abend, mein Freund«, sagte er und machte sich zum Schamanen des Dorfes auf.

    Abgesehen von der Größe und dem steinernen Fußboden unterschied sich das Innere von Ozelots Hütte nicht von denen, die Tonina bereits kannte: auf dem Fußboden Webmatten, Knoblauchund Paprikastränge, die von den Dachsparren herabhingen; ein Altar für die Götter und einer für die Ahnen; Kleider, die über Holzdübel geworfen waren; an die Wand gelehnte Speere, Bogen und Pfeile; Sandalen, Essnäpfe und Wassersäcke auf hölzernen Borden.
    Tonina packte ihren Reisesack aus, und nachdem sie die vielen Fragen der Häuptlingsfrau über das Land im Westen beantwortet hatte, zeigte sie der Gastgeberin ihre mit Stickereien verzierte Babydecke. Seit Chac sie darin bestärkt hatte, sich auf die Suche nach ihrer Mutter zu machen, tat sie dies, wo immer sie hinkam, in Bauernhöfen oder Ansiedlungen, immer verbunden mit der Frage, ob jemandem die Stickerei bekannt vorkam. Aber auch die Frau des Häuptlings schüttelte den Kopf über dem melonendicken Kropf. Nein, so etwas hätte sie noch nie gesehen.
    »Das Symbol eines Clans«, sagte sie, »bleibt innerhalb des Clans. Gewebtes und besticktes Tuch, das man kaufen kann, würde niemals das einem Clan eigene Merkmal tragen. Deshalb dürften nur wenige

Weitere Kostenlose Bücher