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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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sollen!«, schluchzte sie, während Einauge sie unbeholfen zu trösten versuchte. »Poki ist weggerannt, und jetzt ist er bestimmt tot! O Poki, Poki!«
    Als hätte er seinen Namen gehört, hechelte unvermittelt von den entfernteren Bäumen ein kleines Kerlchen auf sie zu: Poki, durchnässt, schlammverkrustet und reichlich ausgepumpt. H’meen stieß einen Freudenschrei aus, aber das Hündchen rannte an ihr vorbei zu Chac, fiepte und machte sich um seine Füße herum zu schaffen.
    »Poki!«, rief H’meen und klatschte in die Hände.
    Aber der kleine Hund benahm sich weiterhin so auffällig, bis alle merkten, dass er etwas in der Schnauze hielt. Als H’meen den Gegenstand aus Pokis Gebiss herausgefingert hatte, löste sich gleichsam wie die Schale einer modrigen Frucht durchweichte Erde ab, und zum Vorschein kam der Gesteinsbrocken der Ananasverkäufer. Weil er viele Stunden lang im strömenden Regen gelegen hatte, war alles abgewaschen, was sich über Jahre hinweg an ihm festgesetzt hatte.
    »Dass Poki ihn gefunden hat«, staunte Tonina.
    »Ja, es ist wie ein Wunder«, meinte Chac.
    »Er hat Euren Geruch gewittert«, stellte H’meen nüchtern fest und schwenkte den Stein in einer Pfütze. »Und sich daran erinnert, wie freundlich Ihr zu ihm wart.«
    Sie präsentierte den gereinigten Gesteinsbrocken, und jetzt erkannte man darauf auch Bildzeichen.
    »Was bedeuten die wohl?«, fragte Tonina aufgeregt.
    H’meen konnte sie zwar nicht entziffern, sah sie aber als ein Zeichen der Götter an. »Wenn wir dahinterkommen, was sie bedeuten, werden wir den Aufenthaltsort der erdengefangenen Gottheit wissen.«
    Sie sah Tonina an. »Dieser Stein gelangte nicht zufällig in unseren Besitz«, sagte sie ernst. »Die Götter haben es so eingerichtet, dass dieser Hinweis auf die Göttin weitergereicht wurde an Menschen, unter denen sich jemand befindet, der gut schwimmen kann, denn nur mit dessen Hilfe kann sie gerettet werden.«
    Toninas skeptischen Blick bemerkend, fügte sie hinzu: »Nichts geschieht zufällig. Sagte der alte Ananasverkäufer nicht, dass ihm und seiner Familie noch nie jemand Beistand gewährt habe, bis Chac gekommen sei? Dass sich dieser Stein seit Jahren in ihrem Besitz befände? Und deshalb steht fest, dass die Götter eure Schritte auf den Marktplatz von Tikal gelenkt haben, damit dieser Stein bei euch landet. Um die Göttin zu befreien.«
    Ehrfürchtig betrachtete Tonina den kleinen Stein mit den geheimnisvollen Symbolen. Die Ränder waren unregelmäßig gezackt, wie irgendwo herausgebrochen. Die Bildzeichen waren glattgeschliffen, als hätte man sie jahrelang Wind und Wetter ausgesetzt, aber dennoch gut erkennbar.
    »Die Göttin«, sagte H’meen leise, »wird dem, der sie befreit, jeden Wunsch erfüllen.«
    Tonina sah das so alt wirkende Mädchen an, sah die trüben Linsen unterhalb der schmalen, zarten Altfrauenbrauen, und dachte: Wir alle haben einen Wunsch, um dessen Erfüllung wir die Göttin bitten möchten.
    An Chac gewandt sagte sie: »Warum bedarf es Priesterinnen zur Fürsprache für Paluma, wenn du dich an eine Göttin höchstpersönlich wenden kannst?«
    Schweigend ließ die kleine Gruppe das ganze Ausmaß dieses Geschenks, das mit einem Mal wieder Hoffnung in verzweifelten Herzen weckte, auf sich wirken.
    »Bewahrt ihn gut auf, Ehrwürdige H’meen«, sagte Tonina und drückte ihr den Stein in die Hände. »Ihr genießt die besondere Gunst der Götter.«
    Einmal mehr konnte sie nur staunen, welche Wendungen das Schicksal nahm. Da hatte sie geglaubt, das Ende ihres Weges erreicht zu haben, so weit gegangen zu sein wie sie konnte, und nun hatten ihr die Götter einen neuen Pfad gewiesen. Es war ihr bestimmt gewesen, hier, in dieser vom Unwetter heimgesuchten Gegend, das Medaillon, das sie ihr Leben lang getragen hatte, aus seiner Schutzhülle zu lösen und festzustellen, dass sie die seltene Blume, die sie gesucht hatte, die ganze Zeit über bei sich gehabt hatte.
    Und was Chac betraf: Da hatte sie bis jetzt geglaubt, durch ein Gebot der Götter an ihn gekettet zu sein. Dabei hatte Chac ihr das Leben gerettet, als sie auf der Hängebrücke ausgerutscht war. Die Schuld war demnach beglichen, die Welt wieder im Gleichgewicht. Es stand ihnen frei, getrennte Wege zu gehen.
    Tonina lächelte. Alle Entscheidungen waren getroffen, alle Fragen beantwortet. Sie würden nach Westen ziehen, nach Palenque, Chac in der Hoffnung, Palumas Seele zu retten, Tonina auf der Suche nach ihrem Volk. Wohlige Wärme

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