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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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heranwachsen lassen.«
    Mit zitternder Hand berührte sie Toninas bemalte Wange. »Der unterirdische Fluss in der Höhle mündet in die Bucht von Campeche. Also betete ich zu den Göttern des Meeres, dass sie dich finden und zu mir zurückbringen. Während ich betete, weinte ich, und meine Tränen wurden hinaus zum Meer geschwemmt. Die Götter haben von meinen Tränen gekostet und meine Gebete erhört.«
    »Mutter«, sagte Tonina, »ich habe überall nach dieser Blume gesucht. Aber nirgendwo hingen rote Blumen von Bäumen. Keine, die so aussah.« Sie deutete auf den Stein, der noch immer in Ixchels Handfläche lag.
    »Von Bäumen?« Ixchel schüttelte den Kopf. »Die Blume ist aufwärts gerichtet und hat die Form eines Bechers. Siehst du?« Sie hielt das Medaillon so, dass die kelchförmigen Blütenblätter aufwärts gerichtet waren.
    Wie Schuppen fiel es Tonina von den Augen. Guama hatte das Medaillon verkehrt herum angeschaut! Bestürzt dachte sie an die vielen aufwärts gerichteten roten Blüten, die sie unterwegs gesehen hatten: Zinnien, Maßliebchen, Orchideen.
    Aber da sagte Ixchel bereits: »Diese Blume findet man nicht in unseren Wäldern. Sie ist etwas ganz Besonderes.«
    »Wo wächst sie dann?«
    Ixchels Blick streifte die um das Feuer Sitzenden. Für deren Ohren war das Geheimnis der roten Blume nicht bestimmt. »Darüber kann ich jetzt nicht sprechen«, sagte sie. »Außerdem bin ich erschöpft … «
    Tonina hätte gern mehr erfahren, aber da gebot H’meen: »Ihr müsst jetzt alle gehen. Die Ehrenwerte Ixchel braucht Ruhe.« Als Tonina ihrer Mutter einen Gutenachtkuss gab, sagte Ixchel: »Wir unterhalten uns morgen weiter, liebes Kind. Ich habe dir viel zu erzählen. Aber eins sollst du noch wissen: In deinen Adern fließt altes und edles Blut. Und dies«, fügte sie noch hinzu, griff nach ihrem mit Federn verzierten Bündel und drückte es sich an die Brust, »wird eines Tages dein sein.«

48
    »In deinen Adern fließt altes und edles Blut.«
    Ixchels Worte hallten wie ein nicht endendes Echo in Chacs Kopf wider. Vor fünf Tagen hatte sie das gesagt, sich aber in Schweigen gehüllt und nur noch angemerkt, dass Tonina einem Stamm im nördlichen Hochland, im Tal von Anahuac angehöre. Ständig kreiste dies in Chacs Gedanken.
    Edles Blut …
    Er freute sich für Tonina, war aber gleichzeitig auch verstört. Unaufhörlich dachte er an sie und an diese verblüffende Schicksalswende, während er durch das Lager auf der Plaza schritt und seinen Männern Anweisungen für die Vorbereitungen zum erneuten Aufbruch seiner großen Menschenschar erteilte, die jetzt alle nach Mayapán wollten.
    Sie zusammen mit ihrer Mutter zu sehen, ihre rührende Freude zu erleben, seine eigenen Tränen hinunterzuschlucken, als Tonina und Ixchel sich weinend in den Armen lagen, all dies hatte in Chac die Erinnerung an den traurigen Abschied von seiner eigenen Mutter aufsteigen lassen. Jetzt wünschte er sich, ihr mehr Platz in seinem Leben eingeräumt zu haben.
    Als er sich umwandte, sah er Tonina auf sich zukommen. Zu dem bereits vertrauten Schmerz, der ihn durchzuckte, gesellte sich nun ein weiterer: Die Kluft, die sich seit dem Tag, da sie sich zum ersten Mal gesehen hatten, zwischen ihnen aufgetan zu haben schien, war jetzt breiter denn je.
    »Stimmt es, dass du morgen aufbrichst?«, fragte sie beim Näherkommen. Da sie die vergangenen Tage in Gesellschaft ihrer Mutter verbracht hatte und ihn die immer größer werdende Menschenmenge in Anspruch nahm, waren sie sich kaum über den Weg gelaufen.
    Chac konnte den Blick nicht von ihr wenden. Obwohl sie jetzt wusste, dass sie Nahuablut in sich hatte – und damit einem der vielen Stämme angehörte, die Nahuatl sprachen –, war ihr Gesicht noch immer nach Inselart bemalt. Warum das?, fragte er sich. Sie merkte, dass er ihr Gesicht musterte, hörte seine stumme Frage. »Ich bin noch nicht so weit, von Tonina Abschied zu nehmen«, erklärte sie. »Meine Mutter sagt, mein richtiger Name lautet Malinal. Aber diese Malinal kenne ich nicht. Ich bin noch immer Tonina die Perlentaucherin. Und ich finde … wenn ich auf die Bemalung verzichte, die mich als zur Perleninsel zugehörig ausweist, käme das einer Missachtung der beiden Alten gleich, die mich großgezogen haben und die ich weiterhin als meine Großeltern liebe.«
    Chac nickte wortlos. Was sollte er dieser selbstbewussten jungen Frau auch antworten?
    »Du brichst morgen auf?«, wiederholte sie.
    »So ist es.«
    »Wir scheinen

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