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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Heiligtum einen erstickten Schrei aus.
    Seit er Ahaus Platz eingenommen und den Weihrauch entzündet hatte, war ihm nichts entgangen, angefangen beim ersten Wort über Quetzalcoatl bis hin zum letzten, als es um einen Mann namens Cheveyo ging. Murmelnd und schlurfend hatte er die Unterhaltung belauscht, und jetzt war er vor Schreck wie gelähmt. Gleichsam wie Pfeile hatten ihn die Worte aus Ixchels Mund getroffen: »Von jenem glorreichen Tag an dürfen wir uns endlich Azteken nennen und werden über große Macht verfügen.«
    Nein!, schrie es in ihm, und er floh durch den Korridor des Priesters aus dem Tempel.
    Unten auf der Plaza eilte die Dreiergruppe auf Ixchels Haus zu, ohne zu ahnen, dass sie belauscht worden waren, ohne zu wissen, dass Ahaus zerschmetterter Körper am Fuße der südlichen Treppe der Pyramide lag.

49
    Dämonen verhöhnten ihn.
    Hinter seinen geschlossenen Lidern loderten Flammen. In seiner Brust wühlte ein Hornissenschwarm. Während alle in Palenque unter einem von Sternen übersäten Himmel schliefen, stolperte Balám in den Dschungel, vorwärtsgepeitscht von dem, was er im Zeittempel mit angehört hatte – dass die Barbaren sich anschickten, die Weltherrschaft zu übernehmen.
    Nein!, schrie seine gequälte Seele auf. Die Vormachtstellung der Maya ist Ziyals Geburtsrecht. Meine Tochter wurde nicht geboren, um den Untergang unserer Welt zu erleben!
    Was sollte er tun? Sein Weg war so klar vorgezeichnet gewesen: Gefangene machen und sie nach Uxmal zurückbringen. Jetzt aber schickten sich Chac und Tonina an, den Azteken an die Macht zu helfen. Wenn er die beiden nach Uxmal brachte, als Geschenk für seinen Onkel, hieße das, der drohenden Gefahr im Norden den Rücken zu kehren. Sollte er mit seinen Kriegern nach Norden ziehen und der Bedrohung durch die Barbaren ein Ende bereiten? Was würde dann aus Chac und Tonina?
    Es war eine Entscheidung, die kein Sterblicher zu treffen imstande war.
    Balám hatte einen Mann ausfindig gemacht, der k’aizalah okox verkaufte, den »Pilz zum Verlust der Urteilskraft«, so genannt, weil nach erfolgter Einnahme der dem Pilz innewohnende Geist den Geist dessen, der ihn aß, überwältigte und ihm sein eigenes Urteil und seinen Willen aufzwang und somit Entscheidungen traf, zu denen man selbst nicht imstande war.
    Zwischen hohen Bäumen und taubedeckten Farnsträuchern entledigte sich Balám seines Lendenschurzes und trat nackt vor die Götter. Während er ein Gebet sprach, schob er sich den kleinen Pilzkuchen ins Rektum und wartete die Wirkung ab. Schon bald tauchten Visionen auf. Als Erstes erschien ihm Ziyal, heil und gesund. Kein Zeichen von Missbrauch oder Kummer war erkennbar, als sie ihn mit strahlenden Augen anlächelte. Balám deutete dies als Signal, dass die Götter ihm wieder wohlgesonnen waren.
    Jetzt aber verlangte es ihn nach einer Botschaft. Welches Vorgehen entsprach dem Willen der Götter?
    Buluc Chabtan, der grimmige Kriegsgott, tauchte als Nächster vor ihm auf, eine furchterregende Gestalt, gehüllt in Federn und Jaguarfelle und mit Jade geschmückt. Er verlangte von Balám ein Opfer, zum Beweis dafür, dass es ihm ernst war. Balám wusste, was gefordert war. Mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand hielt er seine Vorhaut fest und durchbohrte sie mit seinem Obsidianmesser. Mit zusammengebissenen Zähnen, um nicht laut aufzubrüllen, führte er nun einen mit Knoten versehenen Hanfstrick in die blutende Wunde ein, um ihn dann, vor Schmerzen fast ohnmächtig, langsam am anderen Ende wieder herauszuziehen. Während das Blut auf den feuchten Erdboden rann, betete Balám zu seinem neuen Gott, versprach ihm treue Gefolgschaft, bis der Schmerz so unerträglich wurde, dass er sich übergeben musste. Und dann verlor er das Bewusstsein.
    Als er, nackt und blutverschmiert, wieder zu sich kam, brach bereits der neue Tag an. Mühsam kam Balám auf die Beine, legte seinen Lendenschurz um. Die Wunde blutete nicht mehr und war verschorft, aber der pochende Schmerz gemahnte ihn an sein Opfer. Nur schemenhaft erinnerte er sich an Träume und Visionen, Stimmen und Halluzinationen. Buluc Chabtan hatte seinen getreuen Diener vom lehmigen Waldboden zu den Sternen emporgetragen; Balám hatte gesehen, wo nachts die Sonne schlief und woher der Mond seinen hellen Schein erhielt. Und dort, inmitten der Himmelskörper des Kosmos, hatte Balám die Botschaft vernommen.
    Es war ihm bestimmt, das Hochplateau im Nordwesten aufzusuchen, das Tal von Anahuac, wo er den

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