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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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aufbrichst«, murmelte Balám dicht an Chacs Ohr, »könntest du Mayapán zur Herbstgleiche erreichen.« Chac bedurfte Baláms Überredungsversuche nicht. Tag und Nacht quälte ihn der Gedanke, dass er unbedingt die Männer der Vereinigung aufspüren musste. Und jetzt trieb ihn ein weiterer, noch drängenderer Wunsch, dieses Gebiet zu verlassen: sein wachsendes Unbehagen in einem Land, in dem die Maya nur als Fremde angesehen wurden. Die Gebräuche hier waren anders, die Götter unbekannt. Selbst das Ballspiel folgte hier anderen Regeln. Jeder Tag hier war für Chac ein Kampf, um sich sein Mayatum zu bewahren. Wenn er sich eine Blöße gab, so seine Befürchtung, wenn er auch nur einen Moment der Schwäche zeigte, drohte er seine Identität zu verlieren. Und wenn es dazu käme, wer wäre er dann? Wenn ich kein Maya mehr bin, werde ich dann einfach verschwinden, vom Wind davongetragen werden ?
    Nein, er durfte Ixchel und Tonina nicht verlassen. Ein langer Weg lag noch vor ihnen, sie mussten durch das Tal von Anahuac, dann weiter durch gebirgiges Land und feindliches Gebiet. Er konnte sie nicht im Stich lassen, um seine ureigenen Ziele zu verfolgen.
    Derweil liefen Palumas Mörder frei herum.
    »Bei den Göttern«, grummelte Balám, der Chacs Zerrissenheit als Schwäche auslegte. »Wenn diese Hundesöhne meinen Sohn ermordet hätten, hätte ich sie schon längst an ihren Eiern aufhängen lassen.«
    »Das reicht«, entgegnete Chac und spähte hinüber zu der Hütte, wo aus einem Loch im Dach spiralförmig Rauch aufstieg und aus dem Inneren Gesang zu vernehmen war. Was ging da drinnen vor?
    Ein Zittern überfiel ihn. Er war drauf und dran, Tonina zu verlieren, obwohl sie ihm niemals wirklich gehört hatte. Ixchel brachte ihr das Korbflechten bei, unterrichtete sie in Nahuatl, nannte sie »Malinal« und bereitete sie auf den Tag vor, da sie zu ihrem wahren Ich finden würde.
    »Sollen wir hier etwa nur herumstehen«, sagte Balám abschätzig, »und darauf warten, dass Türkisrauch uns wegen dieser Frau den Garaus macht?«
    Chacs Geduld war erschöpft. Er musste wissen, was in der Hütte vor sich ging. Abrupt ließ er Balám stehen und ging, von der Morgensonne geblendet, auf die Hütte zu.
    Frauen und junge Mädchen umringten die aus Gras gefertigte Unterkunft, sangen und klatschten in die Hände. Chac bahnte sich mühsam einen Weg durch die Menge. H’meen stand da, in einer Tunika und einem Rock, beides, wie er sich erinnerte, besonderen Anlässen vorbehalten. »Der Segen der Götter, Edler Chac«, sagte sie. »Du kommst genau richtig. Gleich beginnt unsere Feier.«
    »Feier?«
    H’meen erklärte ihm, dass mit dem Drei-Tage-Ritual Tonina offiziell als Frau in ihren Stamm aufgenommen wurde, ein Ritual, das gewöhnlich am dreizehnten Geburtstag eines Mädchens durchgeführt wurde. »Wir Maya nennen es das Fest der Erscheinung der Götter auf Erden.«
    Chac nickte. Er selbst hatte dieses Fest im Alter von dreizehn Jahren gefeiert.
    Weil Tonina mit dreizehn noch auf der Perleninsel lebte, hatte Ixchel Toninas zweiundzwanzigsten Geburtstag als den Tag für diese Zeremonie bestimmt, einem aus zwei Glückszahlen bestehendem Datum: der Neun und der Dreizehn.
    H’meen verstummte, als Ixchel aus der Hütte trat. Ein anmutiges Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie mit erhobener Hand um Ruhe bat.
    Seit dem Aufbruch in Palenque musste Chac immer wieder staunen, wie sich Toninas Mutter nach und nach veränderte – wie mit Festigung von Gesundheit und Lebenskraft ihr Körper aufblühte, sie immer jünger zu werden schien, sich ihr Rücken straffte und ihr Gang aufrecht wurde. Jetzt, im hellen Morgenlicht, erschien ihm ihre Haltung geradezu königlich. Und obwohl ihr Haar weiterhin weiß war, glänzte es und war voller geworden. Chac konnte sich sehr wohl vorstellen, dass der eine oder andere Mann in seiner Gruppe Ixchel verführerisch fand.
    Sie sagte etwas auf Nahuatl, mit kräftiger, eindringlicher Stimme. Ixchel wiederholte ihre Ansprache, bis sich eine fast unwirkliche Stille über die Bucht senkte, die nur vom Geschrei der Möwen durchbrochen wurde.
    Chac verstand nicht, was Ixchel sagte, spürte aber die gespannte Erwartung, mit der alle zur Hütte schauten. Auch er machte sich auf etwas Außergewöhnliches gefasst. Sein Blick wanderte über das Lager, die rauchenden Feuerstellen, die Hunde, die umhertrotteten.
    Eine einfache, alltägliche Szene, dachte Chac und spürte gleichzeitig, dass die Welt im Begriff war, sich für

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