Das Perlenmaedchen
seiner geliebten Tochter belohnten.
»Vetter!«, zischte der junge Mann an seiner Seite und packte Baláms Arm. »Sieh doch nur!«
Balám ließ den Blick über die feiernde Menge schweifen und bemerkte, dass weiter hinten am Strand Schweigen eingetreten war. Die Stille breitete sich in den rotgoldenen Abend aus, bis nur noch das Rauschen der Brecher am Strand zu hören war.
Balám griff nach seinem Speer und presste die Lippen zusammen. Er meinte seinen Augen nicht zu trauen.
Tonina starrte ebenfalls ungläubig, als die Menschenmenge sich teilte, um einen Neuankömmling durchzulassen. Fast hätte sie ihn nicht erkannt.
Der lange Jaguarschwanz war verschwunden. Das Haar hing ihm nun offen und glatt bis auf die Schultern und bildete über den Augenbrauen eine waagrechte Linie. Dieser rechteckige Haarschnitt umrahmte sein Gesicht auf ganz besondere Weise, ließ Chac für Tonina besser aussehen denn je. Der Barbier, der für dieses Werk verantwortlich zeichnete, hatte Chac zudem einen kriegerischen Haarknoten verpasst: Oben am Kopf wurde ein Büschel Haare von einem Band zusammengehalten und war so kurz geschnitten, dass es aufrecht stand. Seinen unauffälligen weißen Lendenschurz hatte Chac durch einen in leuchtend blauen, gelben und roten Farben ersetzt, der seine Hüften, Lenden und Schenkel betonte. Anstelle des schlichten Umhangs trug er nun einen, dessen kräftiges Scharlachrot förmlich zu glühen schien.
Chac blieb vor Tonina stehen, verneigte sich und hob dann den Kopf, um mit stolzer, lauter Stimme zu verkünden: »Ehrenwerte Frauen, ich bin gekommen, um Euch zu begrüßen. Ich bin Tenoch von den Chapultepec.«
53
Bis auf das Rauschen der Brandung war kein Laut zu hören; wie versteinert standen alle da. Und dann hob ein Raunen an, das sich ausbreitete, bis alle vor Begeisterung durcheinanderredeten. »Tritt vor, Tenoch von den Chapultepec«, forderte Ixchel ihn lächelnd auf. Ihre Stimme bebte vor Erregung, war dies doch die Antwort auf ihre Gebete: dass Chac zu sich selbst finden möge. Jetzt konnte es zu einer Eheschließung kommen, ihre Tochter beruhigt einem ehrenvollen, mutigen Mann anvertraut werden. Während der langen Jahre in der Höhle, nur in Gesellschaft eines Vogels, der nicht sprechen konnte, hatte Ixchel immer davon geträumt, eines Tages ein Enkelkind in den Armen zu halten.
Cheveyos Enkel.
Als Chac zu Toninas Sitz hinaufstieg und die Ehrfurcht und Freude auf ihrem Gesicht sah, fragte er sich, warum er so lange und so hartnäckig gegen diese unvermeidliche Verwandlung angekämpft hatte, war doch dieser neue Mann der wirkliche Chac – nicht etwa ein »anderer« Mann, sondern der, als der er geboren worden war. Hatte seine Mutter das gewusst? Hatte sie deshalb darauf bestanden, dass er nach Teotihuacán ging?
So viele Jahre seines Lebens hatte er vorgegeben, ein Maya zu sein. Doch nun wusste er, wer er war, fühlte neue Kraft durch seinen Körper strömen. Wenn ich nach Mayapán zurückkehre, dann als Tenoch von den Chapultepec. Ich werde den Männern der Vereinigung beweisen, dass mein Volk nicht ohne Ehre und Stolz ist. Auf dass sie den Tag verfluchen mögen, an dem sie geboren wurden.
»Chapultepec«, wiederholte Ixchel und krauste die Stirn. »Heuschreckenhügel?«
Chac schlug seinen Umhang beiseite. Auf seiner Brust wurde eine neue Tätowierung sichtbar.
Nachdem er aus dem Dschungel gewankt war, erschöpft, aber auch von neuer Kraft durchdrungen, hatte er einen der vielen Barbiere innerhalb der Gruppe aufgesucht, und dieser Mann war abseits der Menge, unter einem mächtigen Mahagonibaum, zu Werke gegangen. Anschließend hatte Chac unbemerkt eine Familie aufgesucht, die kostbare Textilien für die Noblen des Landes fertigte. Zu guter Letzt hatte er einen Tätowierer gefunden, der sich auf die Stammessymbole der Nahua verstand.
Die Tätowierung war noch blutverkrustet, trotzdem erkannte Ixchel das Symbol, das Chac als Mitglied des Volkes vom Heuschreckenhügel – »chapultepec« auf Nahuatl – auswies.
»An dem Tag, da ich als kleiner Junge dieses Stammeszeichen erhielt, versuchte ich nicht zu weinen«, sagte Chac lächelnd, »und tat es dann doch.«
»Erinnerst du dich an den Namen deines Clans?«
»Den habe ich vergessen, Ehrenwerte Ixchel.«
Als sich seine Aufmerksamkeit Tonina zuwandte, die ihn mit offenem Mund anstarrte, entging beiden der besorgte Ausdruck, der über Ixchels Gesicht huschte.
»Vergib mir, dass ich die dir gebührenden Feierlichkeiten störe,
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