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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Töpfen und Zerstampfen von Mais, ehe sie zur Tortilla-Bäckerin aufstieg, dann zur Aufseherin über die Tortilla-Herstellung, dann zur Obersten Köchin. Wie sie mit ihrem Sohn in ihrer Muttersprache geredet hatte, bevor sie die Sprache der Maya erlernt hatte, wie sie ihn verzaubert hatte mit den Legenden, die sich um sein Volk rankten, ehe er sich mit Balám befreundete und zu Chac wurde.
    Chapultepec.
    »Vergiss das nie, mein Sohn«, hatte die Mutter ihn ermahnt. Sie hatte ihn dieses Wort wiederholen lassen, jeden Tag danach gefragt, bis er in die Akademie aufgenommen wurde, das Ausbildungszentrum der Ballspieler. Hier lebte er zusammen mit Balám und anderen Maya-Knaben, die im Laufe der Zeit zu jungen Männern heranwuchsen; und Chac, das Chamäleon, passte sich ihnen an, übernahm ihre Sprache und Gebräuche, machte sich ihre Götter zu eigen, ihren Glauben und ihre Mythen, verdrängte die Welt des kleinen Chichimeken-Knaben und seiner Nahuatl sprechenden Mutter so nachdrücklich aus seinem Gedächtnis, bis er das Wort, das er für immer im Gedächtnis bewahren sollte, vergessen hatte.
    Aber jetzt war es wieder präsent, war beim Anblick der verwandelten Tonina aus dem Schlummer erwacht.
    »Chapultepec«, wisperte er, ein Wanderer zwischen zwei Welten, gefangen wie ein Hase zwischen zwei Hunden, die an dem hilflosen Tier zerrten und es schließlich in zwei Teile zerrissen.
    Lange Zeit lag er so da, während die Vergangenheit an ihm vorbeizog und von ihm Besitz ergriff. Als er sich endlich völlig erschöpft aufrichtete und überlegte, wie weit inzwischen die Sonne fortgeschritten sein mochte, als er sich Blätter und Zweige abstreifte, wusste er, dass er an einem Wendepunkt seines Lebens angelangt war.
    Er mühte sich wieder auf die Beine zu kommen, schwankte einen Augenblick, fand dann sein Gleichgewicht wieder. Durch seinen Schmerz hindurch erkannte er mit absoluter Klarheit, dass es für ihn nur einen einzigen Weg gab. Es hatte immer nur diesen einen Weg gegeben. Und vielleicht, sagte er sich, während er sich durch den Dschungel zurückkämpfte, vielleicht würde es mit Hilfe der Götter gar nicht so schwer werden wie gedacht, Abschied zu nehmen.

52
    Aus Treibholz und Farnwedeln hatte man einen erhöhten Sitz errichtet, auf dem Tonina feierlich Platz nehmen musste, um wie eine Königin über die Festlichkeiten zu herrschen. Feuermulden wurden gegraben, Musikinstrumente hervorgeholt, pulque ausgeschenkt.
    Tonina hätte eigentlich glücklich sein müssen. Sie war nicht länger die Ausgestoßene wie einst auf der Perleninsel. Jetzt unterschied sie sich nicht von anderen Nahua-Frauen, man erkannte sie als Mitglied eines der Sieben Stämme von Aztlán an. Endlich gehörte sie dazu.
    Ihre Freude wurde nur von der Sorge um Chac gedämpft. Wo war er? Niemand hatte ihn mehr gesehen, seit er am Morgen nach einem langen Blick auf sie in den Dschungel gelaufen war. Inzwischen ging die Sonne unter, und noch immer ließ er sich nicht blicken.
    Die Luft des frühen Abends war erfüllt vom köstlichen Duft gedämpfter Muscheln, gebratenem Fisch und gegrillten Wachteln. Zu den fröhlichen Klängen von Flöten und Trommeln ließ man sich Tortillas und Bohnen schmecken, Tomaten und Avocados. Zigarren und Pfeifen würzten die Meeresbrise mit Rauch. Die Zeremonie hatte allen gezeigt, dass sie zwar aus verschiedenen Clans und Stämmen kamen, aber alle ein und demselben Volk angehörten, dieselbe Sprache sprachen, dieselben Götter verehrten und auf demselben Weg waren: nach Aztlán, nach Hause.
    Aber da gab es auch noch die, denen weniger nach feiern zumute war. In einiger Entfernung der ausgelassenen Menge standen Balám und seine Krieger in Bereitschaft, wohl wissend, dass Häuptling Türkisrauch seine Männer zum Angriff zusammenzog. Und während Balám ein wachsames Auge auf die Leute behielt, die seiner Meinung nach ein sinnloses Ritual feierten, fragte auch er sich: Wo ist Chac abgeblieben?
    Balám hoffte geradezu, dass Häuptling Türkisrauch angreifen würde, damit er und seine Männer diesen Zapotekenhunden zeigen konnten, was für überragende Krieger die Maya waren. Er und seine Krieger würden heldenhaft kämpfen – nicht um diese erbärmliche Menschenmenge zu beschützen, sondern zum Ruhme seines eigenen Volkes. Und nach dem Sieg in dieser Bucht wollte Balám seine Männer zu noch größeren Siegen führen, so lange, bis die Bedrohung durch die Chichimeken für immer beendet war und die Götter ihn mit der Rückkehr

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