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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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dieser zusätzlichen Armee endlich stark genug sein, Land in Besitz zu nehmen, das ihnen rechtmäßig zustand. Eine Heimat zu haben könnte das ewige Umherziehen der Mexica beenden.
    »Wir stellen allerdings Bedingungen«, fuhr Martok fort. »Wir wollen möglichst wenige Krieger in der Schlacht töten. Wir brauchen Gefangene für die Friedensverhandlungen. Unser Sieg darf kein ehrenrühriges Abschlachten sein. Wir kämpfen um Land, um eine Heimat. Wir Mexica sind stolz auf unseren Ehrenkodex, und wir erwarten, dass auch Ihr Euch daran haltet.«
    »Einverstanden.« Gemäß dem uralten Brauch, Abmachungen zu besiegeln, spuckte sich Balám auf die Handfläche und drückte seinen Daumen darauf. Er war mit allem einverstanden, was Martok verlangte, denn sobald der Sieg über die anderen Stämme errungen war, hatte er vor, seine Armee gegen die von Martok zu richten, sie – Chacs Volk – bis auf den letzten Mann zu vernichten und somit ein für alle Mal von der Erdoberfläche auszulöschen.

66
    Ein weiterer Todesfall. Ein weiterer Tag der Hoffnungslosigkeit. »Hier können wir nicht länger bleiben, Mutter«, sagte Tonina, derweil Frauen den Leichnam in Tücher schlugen und ihn für das Begräbnis zurechtmachten. »Wir haben nichts mehr zu essen. Wir werden verhungern.«
    Als sie vor sechs Tagen in dieser Wildnis angelangt waren, in einer dicht bewaldeten Region zwischen zwei schlafenden Vulkanen und einer so tiefen Schlucht, dass an eine Stadt oder ein Dorf in der Nähe nicht zu denken war, hatten sie bis auf den letzten Rest abgenagte Tierknochen gefunden, aufgehäufte Obst- und Nussschalen, vereinzelte Körner und menschliche Exkremente – ein Zeichen dafür, dass hier eine größere Gruppe gelagert hatte, bis ihr das Essen ausgegangen war.
    »Alles zerstört«, hatte Ixchel gesagt, als sie mit ihrem Volk an einem Spätnachmittag hier anlangte, um eine Ruhepause einzulegen und zu übernachten. Der Anblick der abgeernteten Bäume, der kahlen Sträucher und erkalteten Feuermulden erinnerte sie an eine Invasion von Heuschrecken in ihrer Kindheit; zu Wolken zusammengeballt waren damals diese Insekten über die Bauernhöfe außerhalb von Palenque hergefallen, hatten auf den Feldern nur noch trockene Halme zurückgelassen. Wer immer in den vergangenen Monaten hier durchgezogen war, ob eine große Karawane oder eine kleine Armee, hatte den Göttern oder Geistern dieses Orts keinen Respekt erwiesen. Sie hatten sich auch nicht an die ungeschriebene Regel gehalten, ein Gebiet, durch das man zog, niemals seiner gesamten Erträge zu berauben.
    Als sie mit H’meen und anderen über ihr weiteres Vorgehen beratschlagt hatte, stellte sich ein ernstes Problem. Die Leute konnten hier zwar ausruhen, hatten aber in letzter Zeit so wenig zu essen gehabt, dass viele inzwischen zu schwach waren, den Marsch fortzusetzen. Ixchel sah sich einem Dilemma gegenüber: Je länger sie hier verweilten, desto mehr schwanden ihrer aller Kräfte, und je mehr ihre Kräfte abnahmen, desto länger würden sie zwangsläufig hier verweilen müssen.
    Dabei hatte sie doch so inständig zu den Göttern und Geistern dieses Waldes gebetet! Aber es war vergeblich gewesen. Manchmal dachte sie schon, dieser Ort müsse fluchbeladen sein. Wie aber erklärten sich dann die vielen Schmetterlinge? Anfangs waren nur wenige dieser schwarzen und goldenen Schönheiten herumgeflattert. Seither schienen es jeden Tag mehr zu werden. Und da jeder wusste, dass Schmetterlinge die Geister von toten Soldaten waren, die in strahlenden Kriegsgewändern auf die Erde zurückkehrten, konnte auf diesem Ort eigentlich kein Fluch lasten.
    Sie hatte sich in verschiedenen Methoden des Weissagens versucht, auch auf Toninas durchsichtigen Becher der Prophezeiung zurückgegriffen, aber die Götter hüllten sich in Schweigen.
    Ixchel vernahm das Wehklagen um den Toten, der verhungert war. Panik überkam sie. Gab es einen Ausweg?
    Schon ernährte sich die Gruppe hauptsächlich von Heuschrecken und Raupen, Termiten und den Larven von Käfern. In den Wasserläufen der Umgebung gab es zwar Fische, aber bei weitem nicht genug für so viele hungrige Mäuler. Also aßen Ixchels Leute notgedrungen auch Frösche, Süßwasserschnecken und Krebse. Wer immer in der Lage war, begab sich auf die Suche nach Wild, während Frauen Vogelnester plünderten und Kinder mit Fallen vor Kaninchenlöchern und den Baumhöhlen von Eichhörnchen auf der Lauer lagen. Es war schon eine Weile her, dass die Männer etwas

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