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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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bedacht gewesen war, sich Baláms Anerkennung zu versichern. Nun aber war er Tenoch der Mexica, und vor ihm stand ein Mann, der nichts im Tal von Anahuac verloren hatte.
    Dies hier ist unser Land.
    All diese Gedanken wirbelten in Chacs Kopf herum. Es war, als ob zeit seines Lebens seine Seele in ein dunkles Tuch eingehüllt gewesen wäre, das jetzt abfiel und er zum ersten Mal sah und verstand. In den Monaten und Tagen, da er sich gesträubt hatte, ein Anführer zu sein, hatte er immer das Gefühl gehabt, ihm werde die Pflicht aufgeladen, Autorität auszuüben, Verantwortung zu übernehmen, Gesetze zu erlassen, Urteile zu sprechen – gegen seinen Willen, weil ihm nichts anderes übrig geblieben war.
    Aber jetzt wollte er.
    Tonina hatte recht. Seine Bestimmung beinhaltete mehr, als nur Rache an Balám zu üben. Es war seine Aufgabe, Anführer zu sein und die Stämme in diesem Tal zu vereinen.
    Auf ein Signal hin setzten sich Balám und Chac in Bewegung, um zwischen den beiden Armeen auf neutralem Grund zusammenzutreffen. Hier wurden die Götter angerufen, gelegentlich in letzter Minute ein Waffenstillstand vereinbart oder abschließende Schmähungen ausgestoßen.
    Chac ließ Balám nicht zu Wort kommen. »Deine Stunde ist angebrochen, Balám, damit du für deine Verbrechen bezahlst. Für das, was du Tonina angetan hast.«
    »Wie ich sehe, hast du keine Zeit vergeudest, sie zu schwängern«, kam es spöttisch von Balám.
    Chac blinzelte. »Ich möchte dir ein Angebot unterbreiten.«
    »Angebote sind etwas für Feiglinge!«
    »Eine Wette«, sagte Chac, und prompt wich aller Spott aus Baláms Gesicht.
    Auf diese Idee war Chac verfallen, als er zu Quetzalcoatl gebetet hatte. Sein Herz war rein gewesen und sein Wunsch ernsthaft, und deshalb war ein Gedanke in ihm aufgestiegen – Prinz Balám hat eine Schwäche. Mit dieser Schwäche kannst du ihn besiegen.
    »Ich schlage vor« – Chac sah, wie das Interesse in den Augen des Maya aufblitzte – »dass nur du und ich miteinander kämpfen. Ohne Waffen, nur mit unseren Händen. Wer gewinnt, geht aus dieser Schlacht als Sieger hervor.«
    Balám rümpfte die Nase, schaute nach rechts und links. Mit zusammengekniffenen Augen blinzelte er Chac an. Die Versuchung war groß. Das war die Wette schlechthin – der Einsatz des Lebens. »Heißt das, wenn ich gewinne«, sagte er, »werden deine Leute meine Gefangenen?«
    »Und wenn ich gewinne, tritt deine Armee ab, und für mein Volk ist der Weg zu den Höhlen frei.«
    Balám spitzte den Mund, rieb sich den Schenkel, warf einen Blick über die Schulter, biss sich auf die Lippen. Noch nie war die Versuchung so groß gewesen. Derart viel hatte er noch nie riskiert. Er zitterte fast vor Erregung.
    Und dann überlegte er: Eine Schlacht, in der es keine Toten gab, würde die Zahl derer, die die Göttin Ziyal verehrten, beträchtlich vergrößern.
    »Einverstanden«, sagte er und winkte seinen Ersten Leutnant heran, während Chac Einauge zu sich beorderte. Gemäß der Tradition der Maya und Nahua nahmen diese beiden die Kleidung und Ausrüstung der beiden Kontrahenten an sich und achteten darauf, dass der Kampf wie vereinbart vor sich ging und der Gewinner den ihm zustehenden Preis erhielt.
    Statt aber Baláms schweren Kopfschmuck entgegenzunehmen, rief der in Ozelot gehüllte Leutnant: »Wir sind hier, um zu kämpfen! Vetter, diesen Ruhm darfst du uns nicht vorenthalten! Mit dieser Wette verspottest du die Götter!«
    »Wie kannst du es wagen, dich mir zu widersetzen!«, brüllte Balám aufgebracht. »Du hast meine Entscheidung zu respektieren!«
    »Das werden wir nicht!«, zischte der Vetter zurück.
    »Beim Blute von Buluc Chabtan, dafür lasse ich dir die Eier abschneiden!«
    Der Vetter – jünger, muskulöser und stärker als Balám – richtete sich zu voller Größe auf. »Vetter«, sagte er, »für diesen glorreichen Moment sind wir mit dir durch die Neun Ebenen der Unterwelt gegangen. Unsere Speere lagen müßig herum, unsere Dolche haben geschlafen. Nie haben wir uns dagegen aufgelehnt. Aber jetzt muss ich sprechen. Es war deine Wettleidenschaft, die dich hierhergebracht hat. Sie hat dich fast ruiniert. Wir lassen nicht zu, dass sie auch uns ins Verderben stürzt.«
    Baláms Gesicht wurde röter als die Bemalung, sein Hals schwoll, die Adern traten hervor. Aber der Vetter gab nicht klein bei. Schweigen senkte sich über das Tal, wieder war nur das Knattern der Standarten und Fahnen zu hören. Chac hielt den Atem an, hoffte, dass

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