Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
raschen Blick über die hier versammelten Gaukler, Jongleure, Zauberer, Tänzer und Possenreißer. Als er zwei Schlangenmenschen bei Lockerungsübungen erspähte, zwinkerte er dem weiblichen Teil des Duos, die ein kurzes Röckchen aus Rehleder trug und ihre Brüste mit einem Streifen aus dem gleichen weichen Material bedeckt hatte, aufreizend zu. Worauf sie errötete und ihn mit einem Lächeln bedachte – und Einauge sich die dicken kleinen Hände rieb. Er hatte Jahre darauf verwendet, dieses Zwinkern, das seine gesamte Mimik mit einbezog, so zu perfektionieren, dass Erfolg garantiert war. Jetzt fragte er sich, ob der männliche Partner der Frau ihr Ehemann oder Bruder war. Noch nie hatte er das Bett mit einer derart gelenkigen Frau geteilt; höchste Wonnen schienen ihm bevorzustehen.
    »Wie geht es jetzt weiter?«, raunte in diesem Augenblick Tonina.
    »Da hindurch«, sagte er leise und deutete auf einen farbenfrohen Wandteppich an einem Türsturz, »gelangt man in den Großen Saal. Dort haben sich der König und seine Höflinge zu einem Festmahl eingefunden, und diese Leute hier sind die Unterhaltung. Wir müssen warten, bis die Reihe an uns ist.«
    »Und wie kommen wir von hier aus in den Garten?«
    »In den Garten? Ach so, der Garten! Nun ja«, er kratzte sich am Ohr, »erst müssen wir die Gäste unterhalten und unsere Belohnung abwarten.«
    »Weißt du, wo sich der Garten befindet?«
    »Auf einer Terrasse«, sagte er und deutete in unbestimmter Richtung nach oben. Wenn es einen Garten gab, war der bestimmt eher himmelwärts angesiedelt.
    Der Türsteher im Warteraum, ein Wichtigtuer mit Jadesteckern in Ohren, Nase und Lippen, schaute die Neuankömmlinge hochmütig von oben an und meinte: »Ich kann nicht versprechen, dass euer Gepäck noch da ist, bis ihr wieder rauskommt.«
    Einauge, der die versteckte Botschaft des Mannes verstand, beeilte sich zu sagen: »Eine Kakaobohne für’s Aufpassen halte ich für angemessen. Wenn sich allerdings herausstellt, dass unsere Säcke durchwühlt worden sind, werde ich meinen bösen Blick auf dich richten.«
    Je mehr Artisten in den Großen Saal geschickt wurden, desto näher rückte das Trio an den Durchgang heran, konnte bereits um den Vorhang herum spähen. Tonina, die hinter Einauge stand, sah Angehörige des Adels auf Kissen aus Jaguarfell sitzen, derweil eine Schar Zwerge, Bucklige, Diener und Fächerträger, aber auch Schriftgelehrte und Spaßmacher um ihr leibliches und geistiges Wohl bemüht waren. Allen waren die fliehende Stirn und die schrägen Augen gemein, alle trugen einen schweren Kopfputz aus Weidengeflecht, bestückt mit Federn, Muscheln, Baumwolle oder Jade, einer ausgefallener als der andere.
    Der riesige Saal war ausstaffiert mit Weihrauchfässern aus Keramik, Gipsbüsten, Jademasken, Figuren aus Terrakotta sowie gewaltigen Bodenquadern aus Kalksandstein. Über die Wände zogen sich farbenfrohe Wandmalereien, Pfeifen- und Zigarrenqualm waberte durch den Raum. Der Herrscher von Mayapán, den Einauge Seine Großherzige Güte genannt hatte, trug nichts weiter als einen Lendenschurz, sein großer, stämmiger Körper war leuchtend rot bemalt. Statt eines Kopfputzes hatte er das Haar zu einem Knoten geschlungen und mit langen Quetzalfedern geschmückt. Er thronte auf einem Podium am Kopfende des Saals, saß somit höher als seine Gäste. Einauge verpasste Tonina mit dem Ellbogen einen Knuff in Höhe ihres Schenkels. »Schau ihn nicht an!«, zischelte er. »Niemand darf den König anschauen oder direkt das Wort an ihn richten.«
    »Was macht er da?«, gab sie flüsternd zurück. Der König starrte einen großen runden Gegenstand an, den ein Diener ihm vorhielt.
    »Das ist ein Spiegel. Seine Großherzige Güte betrachtet sich unentwegt.«
    Tonina blinzelte. Der König saß auf einem Schemel, der auf dem Rücken von zwei auf allen vieren kauernden Männern aufgebockt war. »Gefangene. Aus einer unlängst stattgefundenen kriegerischen Auseinandersetzung«, raunte Einauge, der Toninas Verblüffung bemerkte. »Die Maya bringen ihre Feinde nicht um. Sie ziehen es vor, sie zur Strafe zu demütigen.«
    Ständig waren Diener bemüht, aus fein bemalten Krügen die Becher aufzufüllen. Was sie tranken, nannte sich, wie Einauge erklärte, pulque, eine berauschende Mischung aus dem Saft der Agave und der Wurzel eines »böses Holz« genannten Busches. Und da die Gäste jedes Mal, wenn sie tranken, auch den Göttern etwas zukommen ließen, indem sie einen Schluck auf den

Weitere Kostenlose Bücher