Das Perlenmaedchen
aus Asche, Honig und Minze und wechselte die Kleidung, ehe sie zusammen mit Einauge und Tapferem Adler zur Hausherrin gebracht wurde.
Tief gläubig, wie sie war, las Paluma jeweils zum Auftakt des Tages ihren Sklaven und Dienern aus dem Buch der Schöpfung vor, dem Popol Vuh, dem heiligen Text der Maya. »Am Anfang«, hob sie ehrfürchtig an, »herrschte eine große Leere, alles war still und starr und der Himmel ohne Ende. Es gab nur das bewegungslose Wasser und das ruhige Meer. Dann kam das Wort. Tepeu und Gucumatz tauchten in der Dunkelheit auf und sprachen miteinander. Das heißt, ihre Gedanken flossen ineinander, und Worte entstanden daraus.«
Danach wurden die Hausangestellten fortgeschickt – entgegen ihrem sonstigen Verhalten erfolgte dies unter lebhaftem Geschnatter, hatte doch selbst das niedrigste Küchenmädchen für das heutige Spiel eine Wette abgeschlossen –, und Tonina fand sich abermals in dem Privatbereich der Hausherrin. Nach einem Schluck aus dem transparenten Becher sah Paluma erwartungsvoll das Mädchen von der Insel an. »Wird die Mannschaft meines Mannes heute gewinnen?«, fragte sie. Einauge übersetzte.
Tonina spürte, wie gefährlich ihre Lage in diesem Moment war. Sie wagte nicht, eine Prognose für den Ausgang eines Spiels abzugeben. Da sie aber auch nicht lügen wollte, sagte sie: »Es ist nicht möglich, eine Vorhersage für diejenigen zu treffen, die nicht von dem Wasser getrunken haben. Der Geist in dem Becher kann nur für Euch sprechen.«
Paluma dachte kurz nach. »Also gut, dann frage ich eben: Werde ich heute die Frau eines Siegers sein?«
Ungemein schlau, befand Einauge und sah, dass Paluma die Hände rang. Sie war eindeutig besorgt. »Ich werde die Frage bejahen«, sagte er zu Tonina. »Wenn wir uns täuschen und Chac heute nicht gewinnt, werde ich sagen, ich hätte sie falsch verstanden, die Maya-Sprache wäre mir nicht so geläufig. Hoffentlich retten wir damit unsere Haut. Sag jetzt irgendetwas und tu dabei so, als würdest du aus dem Wasser lesen.«
»Ich möchte in den Palastgarten«, sagte Tonina.
Einauge warf ihr einen vielsagenden Blick zu – was war dieses Mädchen doch für ein Dickschädel! –, um sich dann mit einem Lächeln an Paluma zu wenden. »Herrin, der Becher der Prophezeiung sagt, dass Ihr ohne jeden Zweifel die Frau eines Siegers sein werdet.«
»Heute«, betonte Paluma und gab ihm dadurch zu verstehen, dass sie um den Ruf von Wahrsagern, absichtlich zweideutig zu sein, sehr wohl wusste.
»Heute«, stimmte Einauge widerwillig zu. Nur der Gedanke, dem wichtigen Spiel beizuwohnen und sich im Anschluss daran heimlich mit den Adlerjägern zu treffen, konnte seine Besorgnis besänftigen.
Einauge hatte Großes vor. Er wollte die Belohnung kassieren, aber dann weiterhin seinem Beruf als Händler in Maya-Städten nachgehen – mit Tonina als Partnerin.
Ihr bemerkenswerter und überzeugender Auftritt als Wahrsagerin hatte ihn beeindruckt. Was für ein Gespann würden sie abgeben, was an Schätzen zusammenraffen! Er war überzeugt, sie überreden zu können, sich mit ihm zusammenzutun. Keine Frau konnte seinem Charme widerstehen. Und obwohl Tonina nicht so rundlich oder erfahren war, wie er das gern gehabt hätte, und außerdem ein wenig zu groß – vor allem für einen Zwerg –, besaß sie eine rasche Auffassungsgabe. Er könnte ihr viele Tricks beibringen. Und vielleicht würden sie sich später einmal auf eine verlassene Insel zurückziehen …
Es wurde für Paluma Zeit, zum Spielfeld aufzubrechen. Sie wurde begleitet von sechs Bediensteten, darunter zwei erfahrenen Geburtshelferinnen, die auf das kleinste Anzeichen von Schwangerschaftsbeschwerden achteten. Der Gruppe folgten prächtig herausgeputzte Wachposten aus der Villa und schließlich Tonina und ihre beiden Freunde. Als die kleine Prozession vorbei an der gewaltigen Pyramide des Kukulcan über die zentrale Plaza und weiter über eine belebte Straße zog, jubelte man ihnen zu – hier kommt die Frau des großen Chac! – und streute ihnen Blumen auf den Weg. Paluma schenkte der Menschenmenge keine Beachtung, in Vorfreude auf das Spiel schritt sie dahin. Das jährliche Turnier der Dreizehn Spiele ging auf generationenalte Wurzeln zurück, und obwohl es seine rituelle Bedeutung größtenteils eingebüßt hatte und das Volk sich in erster Linie für das Schauspiel begeisterte, wurde von den Familien der Spieler erwartet, dass sie die religiös geprägten Riten des Turniers einhielten.
Am
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