Das Perlenmaedchen
dem kein Wunsch abgeschlagen wurde, hoch und schloss es in die Arme. Auf dem Weg ins Kinderzimmer drückte er die Kleine so fest an sich wie an dem Tag, da sie das Licht der Welt erblickt hatte und ihm blutverschmiert und schreiend in die Arme gelegt worden war. Stürmische wie zärtliche Gefühle hatten ihn überschwemmt, und von diesem Moment an hatte ihm seine Tochter mehr bedeutet als sein eigener Herzschlag.
Sie jauchzte auf, als er mit ihr in den Armen durchs Zimmer tanzte. »Schneller, Taati!«, spornte sie ihn an.
Immer wenn sie ihn so nannte – Taati –, hätte er vor Glück weinen können. Sein Vater war ein unbeugsamer, unnahbarer Mann gewesen, der von seinem Sohn mit »Mein Herr« angesprochen zu werden wünschte. Nicht einmal mit taat, dem Maya-Wort für »Vater«. Ziyal dagegen gebrauchte das verkleinernde taati – es gab nichts, was in Baláms Ohren süßer klang.
Nachdem er seine Tochter zu Bett gebracht, sie immer wieder geküsst und mit ihr die Nachtgebete gesprochen hatte, kehrte er in das eheliche Schlafzimmer zurück, wo Yaxche, als hätte es keine Unterbrechung gegeben, den Gesprächsfaden wieder aufnahm. »Ich möchte, dass die Wahrsagerin zu uns kommt.« Sie war noch immer wütend über das, was das junge Mädchen im Großen Saal verkündet hatte: Dass Paluma nicht nur schwanger war, sondern sogar einen Sohn erwartete.
Balám war einverstanden. Warum sollte das Inselmädchen nicht bei ihnen wohnen? Immerhin war er ein Prinz. Und da seine Ehefrau wohlhabender war und mehr zu sagen hatte als Paluma, stand ihr zu, was immer sie begehrte. Balám verehrte Yaxche vor allem deshalb, weil sie so überaus stark war, körperlich wie auch als Persönlichkeit. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, die große Choimha, diese unglaubliche Naturgewalt, die Uxmal regierte (auch wenn niemand wagte, dies dem König von Uxmal gegenüber zu äußern). Yaxche war massig, gierig, unersättlich. Und Balám liebte sie.
Er wusste, dass sie keine Ruhe geben würde, bis sie das Geforderte bekam. Wenn Yaxche sich etwas in den Kopf setzte, war sie versessen darauf wie ein Hund auf einen Knochen. In ganz Mayapán wusste man um Yaxches Wetteifern, Paluma, die ihr verhasst war, auszustechen, während Paluma sich nicht darum zu scheren schien, geschweige denn versuchte, Yaxche zu übertrumpfen.
Yaxche, die selbst adligen Geblüts war, kam nicht darüber hinweg, dass Chacs Frau einem noch höheren Adel angehörte. Yaxches Vater fungierte als Erster Träger der königlichen Sänfte, eine Ehre, die nur hochrangigen Adeligen zukam. Palumas Vater aber hatte den Spiegel des Königs gehalten, und das war das Privileg derer, die einen Rang höher standen als die Sänftenträger.
Und jetzt war die elende Kreatur auch noch schwanger! Nein, Yaxche würde nicht klein beigeben. Auch sie würde einen Sohn bekommen, und der würde dann ein Prinz sein. »Liebster«, sagte sie jetzt, um dann die Hand nach ihrem Gemahl auszustrecken.
»Ich darf nicht«, kam es zögernd von Balám. »Nicht in der Nacht vor einem wichtigen Spiel.«
Yaxche jedoch wusste, dass ihr Gatte gerade zu diesem Zeitpunkt über höchste Manneskraft verfügte. Heute Nacht würde er ihr einen Sohn schenken.
Balám versuchte zwar, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, konnte aber den Verlockungen ihrer großen braunen Brustwarzen nicht widerstehen.
Als Yaxche die Schenkel spreizte und ihren Ehemann an sich zog, geschah dies in dem siegesgewissen Gefühl, in dieser Nacht einen Sohn zu empfangen und obendrein die Wahrsagerin zugestanden zu bekommen.
14
Alle Pläne, die Tonina gemacht hatte, wurden am nächsten Morgen durchkreuzt, als der Oberste Verwalter die Unterkünfte der Diener betrat und ausrichtete, Paluma wünsche eine Weissagung aus dem Becher der Prophezeiungen; anschließend sollten sie sie zum Ballspiel begleiten.
Während Tonina und Tapferer Adler bestürzt auf diese Mitteilung reagierten, zeigte sich Einauge begeistert. Einem königlichen Ballspiel beizuwohnen! Bislang hatte er solche Spiele nur in kleinen Städten und Dörfern erlebt; unbedeutende Mannschaften hatten dort um lächerliche Preise gekämpft. Dies hier aber war das Turnier des Jahres – mit den besten Mannschaften, die sich in dreizehn Partien messen würden. Heute stand Mayapán gegen Tulum auf dem Programm, und wie es hieß, ging es dabei um viel.
Nach einem Frühstück aus Bohnen und Tortillas in der Küche nahm Tonina abermals ein Dampfbad, putzte sich die Zähne mit einer Mischung
Weitere Kostenlose Bücher