Das Perlenmaedchen
Taíno, worauf Einauge zu Paluma sagte: »Dem Mädchen zufolge wird Euer Sohn am 13. Lamat geboren werden.«
»Aii!«, rief Paluma überglücklich, und Einauge stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, um dann zu sagen: »Das ist im Moment alles, Herrin. Der Becher der Prophezeiung muss einen Tag und eine Nacht lang in Ruhe gelassen werden.« Er selbst war darauf erpicht, die Dienerschaft, vornehmlich die weibliche, näher kennenzulernen und sich anschließend auf dem Marktplatz jenseits der Stadtmauern nach den Adlerjägern umzuschauen.
Paluma hielt sie zurück. »Wartet«, sagte sie und erhob sich. Sie ging auf Tapferen Adler zu und schaute ihm tief in die Augen. »Was für ein wunderschöner und begnadeter Tänzer du bist«, sagte sie leise.
Er lächelte.
»Was ist dir zugestoßen?«, fragte sie, als sie die Wunde an seiner Stirn bemerkte.
»Er kann nicht sprechen, Herrin«, gab Einauge Auskunft.
»Kann er hören?«
Einauge wollte schon antworten, als Tapferer Adler unerwartet nickte.
Tonina sah ihn verblüfft an. »Du verstehst die Sprache der Maya und Taíno?«
Das erneute Nicken von Tapferer Adler quittierte Einauge mit einem flüsternd ausgestoßenen »Guay!« und verdreifachte in Gedanken den Preis, den er von den Jägern zu verlangen gedachte.
»Armer Junge«, murmelte Paluma und strich leicht über die verschorfte Stirnwunde. Dann warf sie einen Blick auf die im ganzen Zimmer verstreuten Federn, klopfte sich nachdenklich auf das Kinn, griff nach einem Korb, ging seinen Inhalt durch und zog schließlich eine bläulich schimmernde Feder heraus.
»Nimm sie«, sagte sie lächelnd. »Drück sie dir an den Kopf und sprich ein Gebet zu deinen Göttern. Dann wird deine Wunde bald abgeheilt sein und auch deine Stimme zurückkehren.«
»Großer Lokono!«, entfuhr es Einauge halblaut. Für eine derart seltene Feder würde man auf dem Marktplatz einen hohen Preis bezahlen. Was war er doch für ein Glückspilz!
Mit einem dankbaren Lächeln nahm Tapferer Adler das Geschenk entgegen und steckte es sich in den Gurt seines Lendenschurzes.
»Und nun geht bitte. Ich bin müde«, sagte Paluma, und augenblicklich eilten Diener herbei, so als hätten sie an der Tür gelauscht.
»Dann könnten wir uns doch jetzt auf die Suche nach dem königlichen Garten machen«, drängte Tonina und sah verunsichert den Korridor in beiden Richtungen entlang.
»Nicht heute«, erwiderte Einauge, der bereits überlegte, wie er Tapferen Adler dazu bringen sollte, sich von seiner neuen Feder zu trennen. »Wir sind doch gerade erst angekommen. Sollte die Herrin unsere Gesellschaft wünschen … Den Garten nehmen wir uns für morgen vor.«
»Nein«, widersprach Tonina. »Ich möchte jetzt gleich in den Palast.«
»Da kommst du nicht rein, mein Kind. Wir brauchen dafür eine ausdrückliche Genehmigung, und so etwas dauert und kostet.«
»Dann schaue ich mich eben bei den Blumenverkäufern um, die es bestimmt auch innerhalb der Stadt gibt.«
»Du kannst nicht allein dorthin gehen!«
»Tapferer Adler wird mich begleiten.« Damit steuerte sie bereits auf die Eingangshalle zu. Schimpfend eilte Einauge den beiden nach.
Obwohl die Blumenverkäufer innerhalb der Stadtmauern eine größere und frischere Auswahl als die auf dem Marktplatz zu bieten hatten, konnte keiner mit einer Blüte aufwarten, die Toninas Beschreibung entsprach. Auch wusste keiner, wo dergleichen zu finden war. Aber Tonina gab nicht auf. Vom Fuße der Kukulcan-Pyramide aus spähte sie über die in der Sonne liegende Plaza zu dem leuchtend roten Gebäude, das sich in vielen Stockwerken, Ebenen und Treppenaufgängen erhob. Einen Garten konnte sie allerdings nicht entdecken. Aber dann gab Tapferer Adler unvermittelt ein seltsames Geräusch von sich und deutete nach oben. Einauge zwickte sein Auge zusammen. »Ich kann nichts erkennen«, meinte er.
Tonina dagegen hatte sehr wohl etwas bemerkt. »Auf der vierten Ebene«, sagte sie aufgeregt. »Oberhalb dieser Säulenreihe dort. Da ist etwas Grünes. Das muss der Garten sein!«
Sie wandte sich dem Palast zu, so als wollte sie schnurstracks dort hinein und die vielen Treppen hinauf. Aber Einauge hielt sie zurück. »Du kannst da nicht rein! Wenn du darauf bestehst, werden dich die Wachen in einen Käfig sperren und nie mehr rauslassen. Warte bis morgen. Ich werde den großen Chac bitten, uns zu helfen«, fügte er noch hinzu, obwohl er wusste, dass morgen der Tag des Zwölften Spiels war und der Palast hermetisch
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