Das Perlenmaedchen
von Tausenden als heldenhafter Ballspieler verehrt, ein liebevoller Ehemann und Vater, um sich zu erhängen.
Unter den Bewohnern war bekannt geworden, dass Balám gegen seine eigene Mannschaft gewettet hatte, was nur bedeuten konnte, dass er eine Niederlage beabsichtigt hatte. Damit erklärte sich auch sein mäßiges Spiel an jenem Tag. Schon erwähnte man seinen Namen nicht mehr; im ganzen Land galt er als derjenige, dem die Verachtung aller gewiss war.
Er konnte nicht vergessen, wie er vor seinem Haus gestanden hatte, als man seine Frau und seine Tochter abführte, wie Hunderte von Augenpaaren ihn angestarrt hatten und Zeugen seiner Schande und Erniedrigung geworden waren.
Dann die Nachricht von Yaxches Tod auf dem Gerüst der Sklavenauktion.
Von allen Formen, Selbstmord zu begehen, war Erhängen die einzig ehrenhafte. Stand ihm das zu? Oder forderten die Götter, dass er seinem Leben mit Gift oder einem Dolch ein Ende bereitete, auf dass seine Seele zur Neunten Ebene der Hölle fahre?
Er sank auf die Knie, schluchzte bitterlich. Wie die kleine Ziyal die Arme nach ihm ausgestreckt und »Taati!« gerufen hatte. Dieser Schrei würde ihm auf ewig in den Ohren hallen. Für den Rest seines Lebens würde er für alles andere taub sein, nur den Hilferuf seiner geliebten Tochter vernehmen.
Nicht imstande, Yaxche vor dem Knüppel eines Soldaten zu bewahren …
Er brach zusammen. Während er so inmitten von Dung und Dreck lag, spürte er, wie ein verhängnisvolles Gift durch seine Adern strömte. Er schloss die Augen, durchlebte noch einmal die Endphase des Spiels, als Chac den Ball abgefangen und, nur für Balám zu verstehen, gesagt hatte: »Ich kann den Sieg nicht verschenken, ich muss an meinen Sohn denken.« Und dann hatte er mit einer eleganten Drehung den Ball durch den Reifen geschlenzt.
Und jetzt war Balám der erbärmlichste Mann weit und breit.
Er wollte sterben. Aber das Gift begann in seinen Adern zu pulsieren, und er spürte, wie in seinem Hals das Leben pochte. Inmitten des Gestanks von Kot und Urin durchfuhr ihn ein neuer, machtvoller Gedanke: ehe er diese Welt verließ, sollten erst andere sterben.
Chac und Paluma, die ihm das eingebrockt hatten. Und die Wahrsagerin ebenfalls, weil sie Paluma einen Sohn prophezeit und deshalb Chac davon abgehalten hatte, ihm, dem Bruder, zu helfen. Es war deren Schuld, dass sie nicht verloren hatten.
Baláms Schluchzen erstarb. Er richtete sich auf und fuhr sich mit der schmutzigen Hand übers Gesicht. Erniedrigt und aller Hoffnung bar, bemächtigte sich seiner eiskalte Ruhe. Es gab kein Nachdenken mehr, nur Urinstinkte beherrschten ihn jetzt. Hass. Rachegelüste. Als die Männer von der Vereinigung sein Haus geplündert hatten, hatten sie auch ihn, Balám, ausgeraubt. Vor den Augen der Gaffer hatte man dem gefallenen Prinzen sein erlesenes Lendentuch, den Umhang sowie den Schmuck abgenommen – Armbänder, die Reifen um die Fesseln, Ohrringe, die Stecker in Nase und Lippe –, nicht zu vergessen seine Sandalen. Barfüßig und nur mit einem einfachen Lendenschurz bekleidet hatten sie ihn stehen lassen, wie einen armseligen Bauern; lediglich an zwei Halsketten hatten sie nicht gewagt, Hand anzulegen, weil dies gegen ein Tabu verstoßen hätte: an der einen hing der kleine Beutel mit Ziyals Milchzahn, an der anderen das Jadeamulett, das Balám an dem Tag erhielt, da er mannbar geworden war und sich dem schmerzhaften und mit viel Blut verbundenen Ritual der Durchstechung seines Genitals unterzogen hatte.
Daran dachte Balám jetzt nicht. Nur daran, dass die Verantwortlichen für das, was sie angerichtet hatten, büßen sollten. Was danach kam, was aus ihm wurde, war unwichtig. Hauptsache, die drei wurden bestraft …
Paluma wünschte sich, Chac hätte sich nicht noch einmal aufgemacht, um seinen Freund zu suchen, nicht um diese späte Stunde, zu der man vernünftigerweise nicht das Haus verließ. Es ging ihr nicht gut, und sie hätte ihren Mann gern in ihrer Nähe gewusst. Aber Chac fühlte sich dem Freund verpflichtet und war in großer Sorge um ihn, und sie wusste, dass erst wenn er Balám fand und die beiden brüderlich vereint waren, im Haus wieder Frieden einkehren würde.
Sie ging in ihrem Schlafzimmer hin und her, entzündete Weihrauch, sang Gebete. Paluma hing dem Kult des Wiederkehrenden Gottes an. Vor etlichen Generationen weilte Kukulcan – dessen Pyramide die große Plaza in Mayapán beherrschte – als weiser König und Heiler auf Erden. Bevor er auf
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