Das Perlenmaedchen
war, aufzuräumen und sauberzumachen und alles für die Rückkehr ihres heldenhaften Herrn vorzubereiten.
Tapferer Adler fand Chacs Zimmer, das bereits hergerichtet und mit Blumen geschmückt war. Hier, mitten auf Chacs Schlafmatte, platzierte er den Becher und kehrte dann zum Marktplatz zurück, ebenso unauffällig wie er sich entfernt hatte.
Nachdem die endlosen Gesänge und Rituale beendet, Mengen von Weihrauch verbrannt, die Trompeten verstummt und die Priester in die inneren Bezirke des Tempels entschwunden waren, durfte Chac nach Hause gehen. Schweren Herzens näherte er sich der Villa, in der ihn schmerzliche Erinnerungen erwarteten.
Kaum hatte er sie betreten, kamen Diener und Sklaven herbeigeeilt, warfen sich ihm zu Füßen und priesen den Tag der Heimkehr ihres Gebieters. Vom Eingang aus begleiteten sie ihn in sein Schlafzimmer, berührten den Saum seines farbenfrohen Umhangs, weil dies Glück verhieß. Chac ließ es geschehen und fragte sich, ob er je wieder inneren Frieden finden würde. Er litt an schrecklichen Kopfschmerzen und wollte nur schlafen, um sich dann bei Tagesanbruch nach Norden aufzumachen, nach Teotihuacán.
Aber erst einmal galt es, eine heilige Pflicht zu erfüllen.
Schleppenden Schritts ging er auf Palumas Schlafzimmer zu, holte gequält tief Luft, ehe er den schweren Vorhang vor der Türeinfassung teilte.
Er blickte sich in dem Zimmer um, das sorgfältig in Ordnung gebracht worden war. Sein Blick streifte die Körbe voller Federn, die halbfertigen Armbänder mit den aufgenähten kleinen Büscheln aus dem zarten Gefieder von Vögeln, die Garne und Nähdornen, die darauf warteten, dass ihre Meisterin zurückkam und sich ihrer bediente.
Auf dem steinernen Fußboden schaute er auf die Stelle, wo seine Ehefrau ihr Blut vergossen hatte. Jemand hatte fürsorglich einen kleinen Teppich darüber gebreitet. Der Tod von Paluma schien lange zurückzuliegen. Ihr Körper war eingeäschert worden, auf Chacs Geheiß. Hu Imix, sein Verteidiger, hatte sich darum gekümmert. Die Urne mit ihrer Asche war, wie es ihr zustand, in einer eigenen Kammer unterhalb der Pyramide des Kukulcan beigesetzt worden, und obwohl abzusehen war, dass Chac im Kalksandsteinschacht den Opfertod sterben würde, hatte Hu Imix in weiser Voraussicht – man konnte ja nie wissen – Paluma vor der Einäscherung eine Haarlocke abgeschnitten und diese dann auf der gerade beendeten Feier Chac überreicht. Sie war alles, was Chac von seiner Frau geblieben war.
Er rang um Luft. Als würde er abermals ertrinken, verengte sich sein Brustkasten, alles um ihn herum schien zu schwimmen. Chac griff nach dem Türrahmen, hielt sich daran fest. Paluma war tot. Ihr Sohn war tot. Aufschluchzend schlug er die Hände vor das Gesicht.
Als er sich wieder gefangen hatte, ließ er den Türvorhang hinter sich zufallen, überzeugt, dass er diesen Raum nie wieder betreten und ihn zeit seines Lebens unverändert lassen würde.
Die Gedanken auf Teotihuacán gerichtet und darauf hoffend, die Seele von Paluma wiederzuerwecken, betrat Chac jetzt sein eigenes Schlafzimmer. Dort wählte er aus, was er auf seine einsame Wanderschaft mitzunehmen gedachte. Ein Gespräch mit Priestern hatte die Worte Seiner Großherzigen Güte bestätigt: dass er ganz allein die Stadt der Götter aufsuchen müsse – ohne Diener, ohne Freunde, ohne Begleitwachen –, und dass er, um Palumas Seele zu erlösen, vor dem fünfzigsten Tag nach der nächsten Sommersonnenwende Teotihuacán erreichen müsse.
Er blieb stehen, starrte auf seine Schlafmatte. Jemand hatte dort etwas hingelegt.
Den durchsichtigen Becher der Prophezeiungen.
Warum lag er hier? Chacs Stirn furchte sich.
Von jähem Zorn übermannt – machte sich das Inselmädchen über ihn lustig? –, eilte er zu den Unterkünften der Diener und entdeckte dort Tonina, die mit ihren beiden Freunden im Begriff war, ihre Reisesäcke mit Einkäufen vom Markt zu füllen.
»Wie kommt dies hier in mein Zimmer?«, verlangte er von Einauge zu wissen.
Der Zwerg wirbelte so rasch herum, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Als er den Gegenstand in Chacs Hand sah, stammelte er: »Ich äh … Herr, ich … «
»Wie kommt das in mein Zimmer?«, wiederholte Chac und auch diesmal so leise wie schneidend. Wer immer diese Stimme vernahm, spürte die Energie und den Unmut, die darin mitschwangen.
Tonina sah Chac nachdenklich an. Da war sie wieder, diese Wut, die sich in seinem Tonfall verriet und sein schönes Gesicht
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