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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Richtung Süden.

    »Die Götter blicken einmal mehr mit Wohlgefallen auf mein Volk«, schwelgte der König von Mayapán.
    Der königliche Pavillon war mit Fackeln und Öllampen hell erleuchtet, Musikanten spielten fröhliche Weisen, nacheinander traten Tänzer auf, und in einer endlosen Abfolge wurden Speisen aufgetragen, an denen sich der Monarch, seine Gemahlin sowie die Höflinge gütlich taten. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand Chac, jetzt in einen mit Jade besetzten Lendenschurz und einen zinnoberroten Umhang gehüllt, um den Hals Ketten und Blumengirlanden, das lange Haar oben zu einem Jaguarschweif gebunden. Seine Lebensretterin war vergessen.
    Von Chac indes nicht.
    Trotz der charmanten Ablenkungen im königlichen Zelt – als Witwer durfte er sich der Annäherungsversuche junger Frauen sicher sein – hing er dem Gedanken nach, dass er, des Lebens überdrüssig, gern den Opfertod auf sich genommen hätte. Durch Tonina war alles anders gekommen. Selbst in der Gunst der Götter stand er wieder!
    Die Schuldgefühle, die ihn durch den Tod von Paluma niedergedrückt hatten, quälten ihn mit neuer Kraft. Mit welchem Recht durfte er sich derartiger Wohltaten erfreuen, während ihr armer Geist zwischen Himmel und Hölle umherirrte? Er hätte bei ihr sein, sie beschützen sollen. Weshalb war sie aufgewacht und über die Urne gestolpert? Wenn er zu Hause gewesen wäre, hätte er die Geburtshelferinnen gerufen, und vielleicht hätten sie seine Frau und das Baby retten können.
    Aber er war nicht zu Hause gewesen. Paluma und ihr gemeinsamer Sohn waren gestorben. Eigentlich stand es Chac nicht zu, weiterzuleben.
    Er war wütend auf Tonina, weil sie ihn ins Leben zurückgeholt und dadurch seine Pein kein Ende gefunden hatte.
    Und dennoch …
    Auch wenn er versuchte, auf die entzückenden und fast nackten Tänzerinnen einzugehen, die ihn mit verführerischen Bewegungen umgarnten, konnte Chac nicht vergessen, wie er, als er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, Toninas Arm um sich gespürt, wie sie ihn an ihren Körper gedrückt, ihren Mund auf seinen gepresst, mit ihrem Atem Leben in ihn gepumpt hatte. Es war ein Augenblick ganz eigener Nähe gewesen, trotz der vielen Zuschauer oben, am Rand des Brunnenschachts.
    Das Wasser hatte einen Teil ihrer Gesichtsbemalung abgewaschen, sodass ein wenig zu erkennen gewesen war, wie sie wirklich aussah. Schön – nach dem Maßstab der Maya – war sie nicht, aber sie sah irgendwie besonders aus.
    Noch etwas anderes ging von dem Mädchen aus … etwas, was er, abgesehen von ihrem Äußeren und dem, was er empfand, bedenken sollte … Seine Großherzige Güte indes ließ ihm weder Zeit noch Raum, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. »Wir werden einen Monat lang feiern!«, verkündete der Monarch. »Ein Fest jeden Tag, zwanzig Tage lang! Dies soll als das Jahr des Chac in die Geschichte eingehen und … «
    Chac rieb sich die Schläfen. Er hörte Seiner Großherzigen Güte nur mit halbem Ohr zu, der Gedanke an Tonina wurde ein wenig ins Abseits gedrängt, obwohl es war, als versuchte sie von sich aus, ihm etwas zu sagen. Aber Chac war zu durcheinander, überwältigt von zu vielen Emotionen. Um ein Haar wäre er gestorben, und jetzt lebte er. So vieles gab es zu überlegen – und Seine Großherzige Güte redete ununterbrochen.
    »Warum hast du dich während des Tribunals mit keinem Wort verteidigt?«, fragte der König. »Hättest du öffentlich widerrufen und dann den Göttern ein Blutopfer dargebracht, wäre dir erspart geblieben, in den Brunnenschacht geworfen zu werden.« Der König ließ eine dicke rote Beere in seinen Mund tropfen und zerkaute sie genüsslich. »Frau und Kind zu verlieren ist tragisch genug. Warum auch noch die Götter verfluchen? Das würde ich gern erfahren.«
    »Paluma hatte keine Möglichkeit mehr, ein Schuldbekenntnis abzulegen«, ergriff Chac jetzt das Wort. »Nicht dass sie bei einem derart tugendhaften Leben besondere Schuld auf sich geladen haben dürfte. Da aber kein bekennendes Gebet gesprochen wurde, bleibt ihr der Himmel versagt. Deshalb zürnte ich den Göttern.«
    Seine Großherzige Güte zuckte herablassend mit den Schultern. »Warum pilgerst du dann nicht nach Teotihuacán und bittest die heiligen Schwestern dort, für die Auferstehung ihrer Seele zu beten?«
    Chac starrte den König an. »Die Stadt der Götter? Es gibt sie wirklich? Ich dachte, das sei nur ein Mythos!«
    »Die Stadt gibt es wirklich, mein Freund. Teotihuacán ist zwar

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