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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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der Strandschnecke, die sie ihm im Affenschrein umgehängt hatte.

    Sie legte letzte Hand an ihren Reisesack, als Einauge hinzutrat. »Die werden wir brauchen«, sagte er und stellte die Wanderstäbe ab. »Übrigens spricht man in der Stadt von nichts anderem von als Chac. Auch er, so erzählt man sich, wird Mayapán verlassen und sich auf eine Pilgerreise in eine Stadt im hohen Norden begeben. Angeblich ganz allein. Keine Diener, keine Begleitwachen. Wenn wir schon mal dabei sind, Tonina: Wir könnten uns durchaus einen Wachposten oder zwei leisten. Es wäre besser für uns drei … «
    »Tapferer Adler ist fort«, unterbrach sie ihn. »Er ist zu seinem Volk zurückgekehrt.« Eigentlich hätte sie sich für ihren Freund freuen sollen, und das tat sie ja auch, aber ihn nicht mehr um sich zu haben, schmerzte sie.
    »Woher weißt du das? Konnte Tapferer Adler denn wieder sprechen?«
    »Er ist mir im Traum erschienen.«
    »Und hat dir die blaue Feder gegeben?«
    »Das hat er! Woher weißt du … «
    »Auch zu mir ist er im Traum gekommen, um Lebewohl zu sagen, und ich habe gesehen, wie er dir die Feder gab.« Dass Tapferer Adler wohl ein Gestaltwandler war, behielt er für sich. Diese Vermutung war ihm zum ersten Mal an jenem Morgen gekommen, da sie die Stadttore passiert hatten, und er war darüber so verblüfft gewesen, dass ihm ein »Guay!« entschlüpft war. Später dann, bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Paluma, als offenkundig geworden war, dass Tapferer Adler sowohl Taíno wie auch die Maya-Sprache verstand – war das nicht anders zu erklären, als dass er ein wandlungsfähiges Wesen war, das sich seiner jeweiligen Umgebung anpasste. Kein Wunder, dass die Jäger unbedingt des Jungen wieder habhaft werden wollten.
    »Ich danke dir für alles«, sagte Tonina mit belegter Stimme. Sie wollte den Abschied nicht länger als nötig hinausziehen. »Du hast mir geholfen, als ich Beistand brauchte. Das werde ich dir nie vergessen. Aber von jetzt an muss ich allein weiter.«
    Einauge rümpfte die Nase. »Was sagst du da?!«
    »Ich muss allein nach Quatemalán gehen.«
    »Du meinst, ohne mich?« Sein eines Auge wurde kugelrund. »Bist du wahnsinnig? Ein Mädchen allein unterwegs?«
    Tonina fand keine Erklärung, keine Worte, um auszudrücken, wie nahe es ihr ging, dass Tapferer Adler plötzlich fort war – sie war traurig und enttäuscht, ja sogar erbost, kam sich irgendwie im Stich gelassen vor. Deshalb sagte sie: »Seit dem Tag, da ich in einem Schilfkorb im Meer ausgesetzt wurde, bin ich allein. Wohl haben Guama und Huracan mich geliebt, aber ich bin nicht von ihrem Blut. Ich gehöre niemandem außer mir selbst. Lieber Einauge, du warst gut zu mir, und dafür sei gesegnet.«
    Einauge geriet in Panik. Er durfte Tonina nicht ziehen lassen. Er hatte doch Pläne. »Aber wer soll dann für dich übersetzen?«
    »Ich kann mich bereits recht gut verständigen, und unterwegs werde ich weiter dazulernen.«
    Er nickte betrübt. »Ja, das wirst du bestimmt. Dann lass mich dich wenigstens ein Stück begleiten.« Aber als er den unnachgiebigen Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, verwünschte er im Stillen alle willensstarken Frauen und begnügte sich mit einem »Dann eben nicht«. Jetzt musste er zwar seine Pläne abändern, aber er hielt sich zugute, flexibel zu sein.
    Im nächsten Moment fuhr durch seinen gedrungenen und missgebildeten Körper ein so befremdendes und noch nie erlebtes Gefühl, dass es ihm sichtlich einen Ruck gab.
    Er wollte nicht von Tonina getrennt werden.
    Der Inselhändler hatte zwar nie geheiratet, sich aber der Gunst vieler Frauen erfreut. Er konnte behaupten, nie geliebt zu haben oder aber tausendmal. Dieses neue Gefühl jedoch erschütterte ihn selbst dann noch, als er sich aufraffte zu sagen, was er dann doch unterließ: Ich würde dich niemals verlassen.
    »Tut mir leid, dass wir uns trennen müssen, aber ich habe Verständnis dafür«, begnügte er sich schweren Herzens zu erklären. »Tonina, liebes Mädchen, ich hoffe, du findest die wundersame Blume, und ich bete dafür, dass du es schaffst, auf die Perleninsel zurückzukehren. Ich bitte Lokono, dich zu segnen, und ich würde mich freuen, wenn wir uns eines Tages wiedersehen würden.«
    Der Zwerg griff nach seinen beiden Reisesäcken und einem Wanderstab sowie nach den kleinen Beuteln mit seinen ansehnlichen Gewinnen, tat so, als wischte er sich eine Träne aus seinem einen Auge, schniefte auf, drehte sich um und entfernte sich so würdevoll, wie dies

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