Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
die Pausen mit immer neuen Zwischenfragen, blätterte in seinen Papieren, der Minister sah ihn schweigend an, zwei Finger am mächtigen Kinn. Eine Pause entstand. Sackur fragte:
»Sie glauben also, die Auszahlung der nächsten Tranche aus dem Hilfspaket ist nicht gefährdet?«
»Ich glaube«, antwortete der Minister, »an die Vernunft aller Verantwortlichen.«
»Kann man ein Land, das keine eigenen Haushaltsentscheidungen mehr trifft, dem in allen Bereichen politischen Handelns die Rahmenbedingungen diktiert werden, noch als souveränen Staat bezeichnen?«
»Ich glaube«, antwortete der Minister nach einer Pause, »Griechenland war in seiner Geschichte immer groß, wenn es aufstand. Die Fesseln abwarf. Ich glaube, Griechenland steht wieder an diesem Punkt.«
Maria stutzte. Genau diese Sätze hatte sie gestern schon einmal gehört.
»Ich glaube an ein Europa der Freiheit«, fuhr der Minister fort. »An Menschen, die in Alternativen denken. Die sich nicht länger weismachen lassen, unsere Welt müsse so und nicht anders sein.«
Auf der Terrasse hatte sie sie gehört. Von Yánnis Kostáki. Ihr Telefon piepte, sie stellte den Fernseher stumm.
»Morgen, Maria!«
»Morgen, Undine.«
»Ich stehe am Hotelkiosk. Dein Name ist auf Kreta in allen Zeitungen.«
»Was?!«
»Zweimal auf Seite eins. Die Verkäuferin vom Kiosk übersetzt. Sie sagt, gestern wurde in den Bergen eine Leiche gefunden. Mit durchgeschnittener Kehle. Wahrscheinlich Araber. Und jetzt schreiben sie …« Im Hintergrund übersetzte die Verkäuferin. »Die Polizei sucht eine deutsche Touristin. Die in der Nähe des Fundortes gesehen wurde. Auf einem Mountainbike, als sei sie auf der Flucht!«
»Das ist absurd!«
»Die Zeitung, Pátris, hat wieder die Fotos gedruckt. Klein auf der ersten Seite, groß im Innenteil. Und gestern, beim Abendessen, waren zwei Polizisten an unserem Tisch. Sie haben gefragt, was ich über deinen Aufenthalt weiß.«
»Hast du es gesagt?«
»Dass du in Athen bist und im Titania-Hotel.«
»Warum hast du mich nicht angerufen?«
»Ich dachte, die Polizei weiß längst Bescheid!«
»Wie sahen die Polizisten aus?«
Die Beschreibung des einen passte auf Embiríkos. Der andere konnte nicht Gerakákis sein.
»Sie haben gefragt, ob deine Abreise geplant war. Ich habe gesagt, nein, das war holterdiepolter. Ich wusste doch nicht …«
Maria versuchte, Undine zu beruhigen. Sie sagte, Undine habe alles richtig gemacht, die ganze Sache sei ein Missverständnis. Sie war nicht sicher, ob Undine ihr glaubte. Sie war nicht sicher, ob sie sich selbst glaubte.
Sie wählte Gerakákis Nummer auf dem Kommissariat. Niemand nahm ab. Sie wählte die Mobilnummer. Anschluss vorübergehend nicht erreichbar. BBC zeigte Bilder von Müllhaufen, Wasserwerfern, Tränengas über Barrikaden.
20
Stöhnen, Keuchen, Scharren der Bettpfosten. Gabriel drehte sich auf die Seite, drückte das Gesicht ins durchgeschwitzte Laken. Seit dem frühen Morgen war das Hotel ohne Strom. Anscheinend die ganze Straße. Er hörte aus der Gasse kein Radio, keinen Fernseher, keine Klimaanlagen.
Gabriel stand auf und ging ins Bad. Er erschrak beim Anblick der schwarzblauen Schwellung auf seiner Schulter. Er betastete sie. Sie war hart und schmerzte schon bei leichter Berührung. Die Wunde war entzündet. Der Stein hatte sich durch die Haut gebohrt. Vielleicht war ein Rest Dreck im Fleisch hängen geblieben. Er brauchte Medikamente. Gegen die Schwellung, den Schmerz, die Entzündung.
Die Wunde bedeutete eine Störung seines Planes. Aber keine Gefahr. Er musste bloß zur nächsten Apotheke gehen. Am besten zu einer, die etwas versteckt lag, mit wenig Kundschaft. In der er seine Schulter zeigen konnte, ohne dass es auffiel.
Diese Wunde bedeutete keine Gefahr!
Aus dem Nebenzimmer hörte er Streit. Der Freier wollte sein Geld zurück. Er wollte nicht für ein Zimmer zahlen, in dem es dreißig Grad heiß war und nach Fischabfällen stank. Die Frau zeterte, er zahle nicht für das Zimmer, sondern für sein Vergnügen. Und mit der Hitze habe er rechnen können; in der ganzen Stadt gebe es keinen Strom.
Gabriels Telefon klingelte. Ein schlechtes Zeichen. Nur ein Mann kannte diese Nummer. Und dieser Mann riskierte einen Anruf nur, wenn es Schwierigkeiten gab. Erst hörte er Röcheln, dann die metallene Stimme.
»Auf Kreta haben sie die Leiche gefunden.«
Gabriel hatte damit gerechnet. Das Versteck, eine ausgetrocknete Zisterne, war nicht ideal gewesen. Aber er hatte die
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