Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
fragte Maria.
»Noch vier Euro.«
»Lassen Sie mich irgendwo auf dem Weg raus, wo es noch was zu essen gibt. Hauptsache billig.«
Am Titania-Hotel stellte der Taxifahrer das Taxameter ab und umrundete den Omónia-Platz.
»Ich habe auch Hunger«, sagte er.
Er war kein Grieche. Er hatte einen anderen Akzent. Er parkte das Taxi in einer Seitenstraße. Das Taxameter zeigte zwölf Euro vierzig. Sie gab ihm dreizehn Euro.
»Aber ich kann Sie nicht zum Essen einladen.«
Sie schämte sich. Aber es stimmte. Im Portemonnaie hatte sie noch zehn Euro achtzig Cent.
Am Omónia-Platz hatte eine Snackbar offen. Sie bestellten zwei Sandwiches mit Schafskäse und zwei Becher frischen Orangensaft. Der Taxifahrer bezahlte für beide. Sie nuschelte einen Protest. Sie setzten sich auf zwei Hocker mit Blick über den Omónia-Platz und bissen in ihre Sandwichs.
»Danke«, sagte Maria. »Ich bin pleite.«
»Warum?«
»Konto gesperrt.«
»Ein Grieche sagt nie, er sei pleite. Er sagt: ›Du kriegst das Geld morgen.‹«
Ein Uhr nachts. Händler standen am Straßenrand, mit Zigaretten und Porno-DVDs. Manchmal hielt ein Wagen. Sie verkauften ihre Ware in die offenen Autofenster. Obdachlose schliefen neben dem Gitter des Metroschachtes. Am Tresen stand ein Geldwechsler mit Lesebrille und Turban. Er prüfte die Geldbündel zweier Afrikaner. Tippte Ziffern in seinen Taschenrechner, hielt ihnen das Display hin. Kurzer Wortwechsel, Nicken. Er zählte den Afrikanern Euroscheine und Münzen in die schwieligen Hände.
»Sind Sie Engländerin?«, fragte der Taxifahrer.
»Deutsche.«
»Deutschland ist gut. Nietzsche.«
Er trug schwarzes Hemd, Jeans, Sportschuhe. Sein Körper war mager, die Schultern hingen nach vorn. Die Brille mit dem schwarzen Rahmen war zu groß für das hagere Gesicht.
»Ich komme aus Teheran«, sagte er.
»Wie lange sind Sie schon hier?«
»Sechs Jahre. Zwei Jahre fahre ich Taxi.«
Im Dunkel des Taxis hatte sie nur wenig von seinem Gesicht gesehen. Jetzt sah sie die tiefen Furchen in seinen unrasierten Wangen«.
»Ich heiße Maria.«
»Darius.«
Er holte eine zerknüllte Packung Zigaretten aus seiner Hemdtasche und hielt sie ihr hin. Sie schüttelte den Kopf. Er zündete sich eine an.
»Ich habe in Teheran Soziologie und Philosophie studiert. Ich spreche vier Sprachen. Ich kann am Computer arbeiten.«
»Das ist gut.«
»Haben Sie einen Job? In Deutschland?«
Sie schüttelte den Kopf. Hinter dem Gitter des Metroschachts schrie ein Baby. Eine Frau setzte sich auf, wischte sich den Schlaf aus den Augen.
»Muss hier weg«, sagte Darius. »Fahre jeden Tag achtzehn Stunden. Geld verdienen, solange es geht.«
»Solange es geht?«
»Die Leute reden frei im Taxi. Sie denken, der blöde Araber versteht sowieso nichts.«
»Sie sind Perser.«
»Erklären Sie den Unterschied einem Griechen. Ich schnappe hier und da was auf. Zähle eins und eins zusammen. Hier knallt’s. Und zwar bald.«
Die Frau wickelte das Baby aus verdreckten Stoffbahnen. Wischte ihm den Po mit Zeitungspapier und Wasser aus einem Kanister.
»Die Griechen schaffen alles über die Grenze«, sagte Darius. »Möbel, Gemälde, Schmuck. Nach Italien oder Zypern. Schauen Sie sich die Müllberge an. Wachsen immer höher. Der Wetterbericht hat Hitze angekündigt, über vierzig Grad. Und zwischendurch Gewitter. Was passiert, wenn das Zeug in die Kanalisation suppt? Seit Tagen sagen sie im Radio, das Militär räumt den Müll weg. Aber das Militär kommt nicht. Also kippen sie Chlor ins Wasser, gegen Seuchen.«
Unter einer Decke hob ein Mann den Kopf. Er murrte die Frau an, die immer noch das Kind abwischte.
»Können Sie mir eine Einladung schreiben?«, fragte er.
»Wofür?«
»Für die Botschaft. Ein Visum nach Deutschland. Ich bin hier geduldet. Aber sie bearbeiten unsere Anträge nicht. Seit Jahren. Weil sie wissen, wenn sie unsere Anträge bearbeiten, haben wir Rechte. Ich kann nicht zurück in den Iran. Ich komme hier nicht raus. Wir sitzen alle in der Falle.«
Die Frau hinter dem Metrogitter versuchte, das Baby zu stillen. Aber das Baby wollte nicht trinken und schrie.
»Eine Einladung nützt Ihnen nichts«, sagte Maria. »Solange Sie keine Papiere haben, kriegen Sie niemals ein Visum.«
»Kennen Sie einen Deutschen? Der ein Taxi braucht, über die Grenze?«
»Sie haben die Falsche getroffen«, sagte Maria. Es ist mein erster Tag in Athen.«
»Aber Sie kommen von einer schicken Party.«
Wie sollte sie ihm das erklären? Sie konnte es
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