Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
gebe Ihnen vollkommen recht. In Deutschland wäre so etwas nie passiert. Die Polizei in Deutschland ist besser geschult und hält sich an die Regeln. In Griechenland haben wir Probleme mit Regeln, sogar mit unseren eigenen. Ich bin die Letzte, die das schönredet. Aber nun sitzen wir hier. Sie und ich. Wollen wir nicht versuchen, die Sache gemeinsam aus der Welt zu schaffen?«
Maria zuckte die Schultern. »Was wollen Sie wissen?«
Kraniótis nahm wieder ihren Kugelschreiber in die Hand. »Wie gefällt Ihnen Griechenland?«
»Es ist mein erster Urlaub hier.«
»Ihre Eindrücke?«
»Ein erstaunliches Land.«
»Ich höre den Zwischenton!« Kraniótis hob neckend den Finger. »Bevorzugen Sie die Berge oder das Meer?«
»Die Berge sind nicht so überfüllt.«
»Deshalb sind Sie am Vormittag des 11. August mit Ihrem Mountainbike ins Psilorítis-Gebirge aufgebrochen?«
»Genau.«
»Allein?«
»Meine Freundin hat einen fünfjährigen Sohn. Sie konnte mich schlecht begleiten.«
Kraniótis machte eine Notiz. »Sie müssen sehr sportlich sein.«
»Ich habe in Berlin kein Auto.«
»Sie waren auf zweitausend Meter Höhe.«
»Ich habe eine Wasserquelle gesucht.«
»Im August?«
»Unsere Reiseleiterin hatte von Schneefeldern gesprochen.«
»Auf Kreta! Im August! Welch ein Unsinn!« Kraniótis lachte und machte eine Notiz. »Sie waren das erste Mal so weit oben in den Bergen?«
Die gleiche Frage hatte ihr gestern Gerakákis gestellt.
»Ja. Wieso?«
»Sie haben da oben diesen Mann getroffen?«
»Er stand pinkelnd neben seinem Auto.«
»Wie unappetitlich! Sie hatten ihn vorher nie gesehen?«
»Nicht bewusst.«
»Was heißt das? Nicht bewusst?«
»Er war eine unauffällige Erscheinung. Jemand, den man leicht übersieht. Aber ich glaube, ich hatte ihn vorher nie gesehen.«
»Sie hatten also auch nie mit ihm gesprochen?«
»Nein.«
»Aber dort oben haben Sie gesprochen?«
»Er hat mir eine Dose Cola gegeben.«
»Cola? Warum?«
»Ich hatte Durst. Ich habe nach Wasser gefragt.«
»Aber er hat Ihnen Cola angeboten?«
»Ich vermute, er hatte kein Wasser.«
Kraniótis machte eine Notiz. Diese Notiererei machte Maria nervös. Als ob die Frau mit ihrem Stift Löcher in ihre Erinnerungen bohrte.
»Ich habe Blut gesehen.«
»Wo?«
»Hinter seinem Wagen. An der Stoßstange. Auf den Steinen. Niedergedrückte Zweige. Als hätte jemand eine Leiche in die Macchia gezogen. Ich bin aufs Fahrrad gestiegen. Er ist mir gefolgt. Er wollte mich die Schlucht hinunterstoßen. Ich bin gestürzt, das Rad ist gebrochen.«
»Sie sind die Schlucht hinuntergestürzt?«
»An dieser Stelle war es noch nicht so steil. Eher ein Abhang.«
Kraniótis nickte. Notierte. Legte den Stift zur Seite. Sah Maria an, leicht vorgebeugt, von Frau zu Frau.
»Das ist alles sehr interessant, Frau Brecht. Ich bin sicher, Sie standen unter erheblicher emotionaler Anspannung.«
»Wie gesagt, er wollte mich töten.«
»Aber sehen Sie: Ich muss Ihre Aussage vor meinen Vorgesetzten rechtfertigen. Ich muss ihnen erklären, warum der Traktorfahrer, Rhadámanthus Typánis, eine vollkommen andere Version zu Protokoll gegeben hat.«
»Zu Protokoll?«
»Die Kollegen haben seine Aussage am nächsten Tag zu Protokoll genommen. Dies ist das reguläre Verfahren, wie Sie es, vollkommen zu Recht, auch für Ihre Aussage in Anspruch nehmen. Inspektor Embiríkos hat die Version des Traktorfahrers in allen Punkten bestätigt.«
»Inspektor Embiríkos war überhaupt nicht dabei!«
»Wie gesagt, er hat die Aussage von Herrn Typánis bestätigt.«
Kraniótis lehnte sich zurück, deutete seufzend auf ihre Notizen. »Dann diese vielen, an den Haaren herbeigezogenen Details … Nach einer Quelle suchen im August … Blutspuren, die sich in Luft auflösen …« Wieder das Vorbeugen. Das Lächeln. Die weiche Stimme, von Frau zu Frau. »Falls Sie Ihre Aussage ergänzen möchten … Glaubwürdiger machen …«
Maria fühlte, dass ihr Herz schneller schlug. Dass ihr heiß wurde in ihrem T-Shirt.
»Und was, meinen Sie, könnte die Glaubwürdigkeit meiner Aussage erhöhen?«
»Wenn Sie zum Beispiel zugeben könnten, dass Ihre Anwesenheit in den Bergen kein Zufall war …«
»Es war eine Fahrradtour.«
»Dass Sie jemand geschickt hat …«
»Mich hat niemand geschickt!«
»Dass Sie wussten, wem Sie dort, auf diesem einsamen Plateau, begegnen würden …«
»Ich hatte keinen Schimmer.«
»Hat Kommissar Gerakákis Sie geschickt?«
»Das ist grotesk!«
»Warum
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