Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
ihn, kam näher.
Er lief, schaute auf sein Display.
Sie hatte ihn fast erreicht, griff nach seiner Schulter …
Sie hörte Schüsse.
38
Attentate können gelingen, sie können scheitern. Attentate brauchen Vorbereitung; Wochen, manchmal Monate. Und im letzten Moment macht ein dummer Zufall alles zunichte. War Arafat sofort gestorben? Acht Tage hatte er im Koma gelegen! Acht Tage war unklar gewesen, ob sie im Hôpital d’instruction des armées Percy dem Gift auf die Spur kommen, den zähen Lurch noch retten würden. Acht Nächte war Suha Arafat nackt, betrunken und zeternd durch die Räume ihres Stadtpalastes in Neuilly geirrt. Hatte Gabriel als Stümper und Betrüger beschimpft, hatte Schuhe und Whiskyflaschen nach ihm geworfen. Endlich, gegen fünf Uhr morgens, hatte sie ein Anruf aus dem Hôpital erlöst. Ihr Mann war tot. Sie war am Ziel. Sie war eine reiche Frau. Sie war auf den weinroten Samt ihrer Voyeuse gesunken und hatte Gabriel mit einem erschöpften Fingerschnippen entlassen. In einem Bistro am Boulevard Bineau hatte er ein Croissant gegessen und auf die Sechs-Uhr-Nachrichten gewartet.
Jetzt stand er am Metroausgang Panepistímiou, gegenüber der Nationalbibliothek. Er hörte Sirenen, sah Krankenwagen, Feuerwehrwagen, Polizeiwagen aus allen Richtungen kommen. War das Attentat geglückt? Hatte er alle getötet? Die Deutsche. Warum hatte sie die Nummer nicht gewählt? Er hatte es selbst tun müssen. Immerhin hatte sie hastig das Café verlassen, Zeugen würden sich erinnern. Und warum hatte er im selben Augenblick Schüsse gehört? Die Schüsse waren von der Kathedrale gekommen. Aber wer hatte geschossen? Auf wen? Plötzlich war sie hinter ihm gewesen. Hatte ihm einen Handkantenschlag in den Nacken versetzt. Er war herumgeschnellt, hatte ihr sein Telefon gegen die Schläfe geschlagen. Er war weitergelaufen, hatte sich noch einmal umgedreht, sie auf dem Pflaster kauern sehen. Blut war aus ihren Haaren getropft.
Mehr Polizei- und Krankenwagen fuhren Richtung Kathedrale. Wenn alles gutgegangen war, bargen sie in den Gasschwaden nur noch Leichen. Aber warum die Schüsse?!
Seine Kopfhaut juckte unter der Perücke. Das T-Shirt war nassgeschwitzt, Kunstfaser, bald würde es anfangen zu stinken. Er hasste Körpergeruch. Er musste wissen, wie viele hatte er getötet? Hatte er die Richtigen getötet? Zwischen den Säulen der Akademie stand eine Gruppe Polizisten, über Handys gebeugt. Er versuchte, in ihren Gesichtern zu lesen. Sah er Trauer, Wut, Tränen? Eher Aufregung, wie im Kino, im spannendsten Moment eines Films. Er musste seine Kleidung loswerden, die Perücke – vor allem den Telefonchip. Er ging weiter, schnell, öffnete die Handyklappe in seiner Hosentasche. Seine Finger suchten nach dem Chip. In der anderen Hosentasche klingelte das Handy, dessen Nummer nur ein Mann kannte. Er wollte nicht mit dem Greis telefonieren. Er wollte diese Blechstimme nicht hören! Erst musste er wissen: Hatte er den Reiter ins Ziel gebracht?
Seine Finger lösten den Chip, er warf ihn in einen Gully. Ein Gefühl sagte ihm, etwas war schiefgelaufen. Eine Warnung, in letzter Sekunde. Es gab ein Leck. Vielleicht war Panourgiás selbst das Leck. Nichts leichter, als eine Wanze im elektronischen Kehlkopf zu verstecken. Die Deutsche? Für wen arbeitete sie? Panourgiás Schergen durften sie nicht festnehmen. Nicht bevor er das Geheimnis aus ihr herausgebrochen hatte, Finger für Finger, Zahn um Zahn. Dies war nicht länger ein Auftrag, der aus dem Ruder lief. Er hatte mit dieser Frau eine Rechnung offen!
Das Rathaus. Soldaten in Panzerwagen. Eine geöffnete Apotheke. Er stieß die Tür auf.
»Geben Sie mir Lidocain.«
»Haben Sie ein Rezept?«
Die Apothekerin hatte Sommersprossen, breite Schultern und Haare auf den Armen.
»Ich bringe es morgen. Ich gebe Ihnen ein Pfand.«
»Ich bin kein Leihhaus.«
»Ich habe starke Schmerzen.«
»Wo?«
»In der Schulter.«
»Zeigen Sie.«
Er knöpfte sein Hemd auf. Sie zuckte zurück.
»Fahren Sie ins nächste Krankenhaus.«
»Ich habe keine Zeit. Meine Kinder –«
»Haben Sie Fieber?«
Möglich. Sein leichtes Frösteln konnte Fieber sein. Er holte sein Portemonnaie heraus. Er hielt ihr fünfhundert Euro hin. Sie schnalzte verächtlich mit der Zunge.
»Geben Sie das Geld einem Arzt. Er soll Sie gleich drannehmen. Das da« – sie zeigte auf seine Schulter – »sieht böse aus.«
39
Rezeptionisten, Hausmädchen, Hotelgäste; alle drängten sich um den Fernseher auf dem
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