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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
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Termin im Café. Maria ging durch Gestank und flimmernde Hitze. Sie hatte Angst. Sie fühlte sich schuldig. Wenn Eléni tot war, dann wegen ihr. Sie musste zur deutschen Botschaft gehen. Die Botschaft war egal! Sie musste die Polizei rufen. Die Polizei konnte nichts tun! Ihr Kopf war wirr. Sie hielt sich im Schatten geschlossener Läden und Banken wie ein Dieb. Wahrscheinlich suchte die Polizei schon nach ihr. Wegen der Leiche in den Bergen. Dem Ohr in der Kühlbox. Der eingetretenen Tür von Elénis Wohnung. Sie musste sich um zwölf Uhr in das Café setzen, es war Elénis letzte Chance. Die Polizei durfte sie vorher nicht verhaften!
    Sie halten Ihr Telefon eingeschaltet.
    Wieso musste sie sich eigentlich in das Café setzen? Wenn er sie erpressen wollte, konnte er einfach anrufen. Wenn er sie in eine Falle locken wollte, musste er Eléni nicht verstümmeln und verschleppen. Oder doch, das mit dem Ohr war schon eine gute Idee. Deshalb tat sie ja jetzt alles, was er verlangte. Das hatte der Mann sich gut ausgedacht. Und wenn Eléni nach Hause kam und sah die eingetretene Tür, das leere Portemonnaie …
    »Mittelgroß. Dünnes, hellblondes Haar.«
    Der Portier hatte mit den Schultern gezuckt.
    »Er hat die Nacht in Ihrem Hotel verbracht. Im vierten Stock.«
    »Ich erinnere mich nicht.«
    Maria hatte einen Zwanzig-Euro-Schein auf den Tisch gelegt. Der Portier hatte geseufzt und ein großes Buch geöffnet.
    »Herr Bekir Ceylan, aus Izmir. Er hat das Hotel heute Morgen verlassen.«
    »Hat er ein Ziel angegeben?«
    »Nein.«
    »Eine Telefonnummer?«
    »Nein.«
    »Wie hat er sich ausgewiesen?«
    »Wir vertrauen den Angaben unserer Gäste.«
    Keine Information, die zwanzig Euro wert war. Maria hatte das Hotel verlassen. Auf der Straße war ihr das Mädchen im Trainingsanzug entgegengekommen – verschwitzt und außer Atem. Es zitterte, als sei ihr etwas Schreckliches zugestoßen. Es hatte einige Wörter herausgestoßen, die Maria nicht verstanden hatte. Maria war weitergegangen, die Zeit wurde knapp. Sie musste das Café finden, sie musste Eléni retten! Das Mädchen war ihr gefolgt.
    Es folgte ihr auch jetzt. Maria fiel der Name wieder ein – Chanell. Maria blieb stehen, Chanell blieb stehen, etwa zwanzig Schritte hinter ihr. Sah sie an wie ein ängstlicher Hund. Oder als müsse sie Maria warnen, vor einer Gefahr.
    In der Athinás hatten bloß zwei Kebab-Stände und ein Call-Shop geöffnet. Auf einem Klappstuhl neben dem Eingang zu den Markthallen saß eine Bettlerin, mager und verkrümmt. Sie war in schwarzes Tuch gehüllt. Vor ihr auf dem Boden standen Heiligenbildchen und ein Ewiges Licht. Die kleinen, faltigen Hände, zu einer Schale geformt, lagen in ihrem Schoß.
    Warum saß diese Frau heute, an Mariä Entschlafung, vor den menschenleeren Markthallen? Warum nicht vor einer Kirche? Die Frau sprach sie an, reckte die Hände. Die Frau roch aus ihrem schwarzen Umhang. Maria beugte sich hinunter. Der Umhang roch nach einem Geruch, den Maria aus ihrer Kindheit kannte: abgestandener Weihrauch. Wie er noch Tage nach der Messe in den Kleidern hing. Nicht mehr weihevoll, sondern schal und verbraucht, wie angebranntes Gummi. Sie hatte den Weihrauch gestern Nacht gerochen, hinter dem Müllcontainer. Der schwarze Stoff. Er hatte ihn gestern Nacht zusammen mit dem Dromedar entsorgt. Er war in einer Kirche gewesen, der Stoff war höchstwahrscheinlich eine Soutane.
    Sie kniete sich zu der Frau. Sie drückte ihr die Centmünzen in die Hand.
    »Sprechen Sie Deutsch? You speak English? Parlez-vous français? Wy gawariti parusski? «
    Die Frau blickte sie an. Blickte die Münzen an, aus fiebrig-glühenden Augen. Maria legte den Fünf-Euro-Schein dazu.
    »Eine Messe? Wo findet heute die wichtigste Messe statt?«
    Sie wiederholte den Satz in mehreren Sprachen. Die Frau stammelte etwas. Tränen sickerten aus ihren Augen. Sie schlug das Kreuz. Sie drückte den Fünf-Euro-Schein an ihren Mund und küsste ihn. Maria versuchte es mit Zeichen: Sie schlug ein Kreuz. Sie betete. Sie schwang ihren Arm wie eine Glocke.
    Chanell war näher herangekommen. Sie beobachtete Marias Pantomime. Sie fragte die Frau auf Griechisch. Die Frau blickte ärgerlich hoch, wollte das Kind mit ihrer dürren Hand verscheuchen. Chanell ließ sich nicht verscheuchen. Sie fragte wieder und wieder, bis die Frau eine Antwort zischte. Sie zupfte Maria am T-Shirt. Ihre dreckige Hand zeigte nach Süden.
    Das Gelände um die Mitrópolis-Kathedrale war abgeriegelt. In den

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